Zur gewohnt frühen Zeit sind wir in kurzen Abständen voneinander aufgebrochen. Ab und zu ist es ganz schön, jemanden zum Quatschen zu haben. Zum größten Teil habe ich es jedoch bevorzugt, alleine zu laufen. Man kann sein eigenes Tempo gehen und lernt auf die kleinen Zeichen seines Körpers zu hören und im besten Fall auch zu verstehen. Was mir besonders wichtig war, ist die Zeit über alles Mögliche nachzudenken. Es ist erstaunlich, welche Gedanken einem kommen, wenn man wirklich mal die Zeit dazu hat, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Wenn wir mal ehrlich sind, machen wir das in unserem Alltagsleben viel zu selten, weil andere Dinge wichtiger sind und/oder wir von anderen Sachen abgelenkt werden.
Um 9 Uhr hab ich als zweites Frühstück ein riesen Thunfisch-Sandwich verdrückt. Das, und die 2 Bananen im Rucksack müssen für die nächsten 10 km reichen. Die halbvolle Wasserflasche wollte ich noch nicht auffüllen, um Gewicht zu sparen. Der nächste Brunnen ist sicherlich nicht weit entfernt – falsch gedacht! Es begann ein nicht enden wollender Anstieg. Von der Hitze hatte ich mittlerweile die Nase gestrichen voll. Langsam wurde die Situation echt kritisch: ein halber Liter Wasser für 2,5 Stunden unter praller Sonne. Ich hab mich vor meinem inneren Auge schon völlig dehydriert am Wegesrand liegen sehen. Nach einer gefühlten Ewigkeit war der Gipfel erreicht. Es ging sofort steil bergab – ungefähr 100 Höhenmeter, die es sofort danach genauso steil wieder zu erklimmen galt. Der Abstieg lohnte sich allerdings, denn unten plätscherte ein Fluss. Eine der Desinfektionstabletten sorgte dafür, dass es sicher zu trinken war. Ich hab schon schlimme Geschichten von Leuten gehört, die einfach so aus den Flüssen getrunken haben und sich danach mächtig übergeben mussten, was dem Körper im Endeffekt noch mehr Flüssigkeit entzieht. Um ein bisschen Abkühlung zu bekommen hab ich mir ein nasses Handtuch in den Nacken gelegt. Was für eine Wohltat!
Die nächsten Kilometer waren sehr monoton und eher mental, als physisch fordernd. Gegen 15 Uhr traf ich als letzter unser 4er Bande in San Juan de Ortega ein. Eszter ließ sich die Füße von Patrick, dem New Yorker Möchtegernarzt ihres Vertrauens, behandeln. Er meinte zwar, er wisse was er tut, seine Patientin konnte den nächsten Tag allerdings nicht laufen und musste den Bus nehmen. Ob es an seinen Heilkünsten lag, sei mal dahingestellt. Eszter hatte es aber auch wirklich nicht leicht mit ihren Wanderschuhen. Jeden Tag kamen neue Blasen dazu – sowas wünscht man wahrhaftig niemandem. Schuhläden waren unterwegs nur rar gesät, und in den wenigen fand sie leider auch keinen passenden Ersatz.
An dem Nachmittag lernten wir Ethan, einen Australier und seinen Weggefährten Pete aus Norwegen kennen. Ein Paar, welches nicht ungleicher hätte sein können. Die beiden haben eine Woche lang zusammen im Zelt übernachtet. Nach eigenen Angaben hat Ethan in der Zeit nur wenige Stunden schlafen bekommen, weil sein Partner unglaublich laut schnarcht. Vor ein paar Tagen sind sie auf die Herbergen umgestiegen, wo er seitdem seine Mitmenschen mit einem Schnarchkonzert beehrt. Mensch, da hab ich ja richtig Glück gehabt, dass sich Pete ausgerechnet neben mir einquartiert hat. Zum Glück hab ich meine Musik zum einschlafen.
Beim Abendbrot mit Stuart, Patrick, Ethan und Pete lernten wir uns besser kennen. Patrick ist Schauspieler und war schon in Salt und in einem Film mit Daniel Redcliffe zu sehen. Ihr werdet ihn aber sicher nicht kennen – beide Rollen waren jeweils nur ein Toter am Rande. Ethan will seinerseits im nächsten Jahr der australischen Army beitreten und dort die dicken Kohlen verdienen. Er sprach von einer viertel Million australischen Dollar Jahresgehalt, wenn man in den Krisengebieten stationiert wird. Ob es das wirklich wert ist? Ich glaube nicht. Der etwas nervige Pete war noch ein halbes Kind. Grade einmal 17 Jahre alt und psychisch sehr labil. Vor ein paar Jahren hatte er Selbstmord versucht und geht den Jakobsweg, um erwachsen zu werden. Zumindest ist es ihm bis jetzt noch nicht gelungen. Er macht aus jedem kleinen Wehwehchen ein riesen Theater. Heute Abend musste er demonstrativ zur Schau stellen, wie sehr seine aufgescheuerte Haut an der Oberschenkelinnenseite wehtat. Mit völlig übertrieben abgespreizten Beinen ist er durch die Straße gelaufen, als hätte er ’nen Köddel in der Hose.