Das war die wahrscheinlich furchtbarste Nacht der vergangenen 3 Wochen! Die Matratze hatte sich schon ohne Zusatzgewicht wie eine Banane durchgebogen. Meinem Rücken hat das überhaupt nicht gefallen, und so blieb mir nichts anderes übrig, als am äußersten Rand über dem Gestell zu liegen. Eine falsche Bewegung und ich wäre runtergefallen. Leider hab ich im Halbschlaf einen der beiden Kopfhörer geschrottet, was ein ausgesprochen dummer Zeitpunkt war. Direkt an meinem Kopfende lag der lauteste Schnarcher im Raum und hielt mich erfolgreich wach. Ein anderer Pilger hatte noch weniger Glück – er bekam Fieber und sah wie ein Häufchen Elend aus. Ein Dorf weiter haben wir von seinem Freund erfahren, dass er mit dem Taxi nach León gefahren ist.

Ich hab noch gar nicht erwähnt, dass heute Eszter’s Geburtstag ist! In der ersten Bar nach 9 km haben wir auf sie gewartet, sie ließ aber auf sich warten. Verschlafen kann sie nicht haben. Liz hat sie heute Morgen schon gesehen. Nach einer Stunde hat sie uns gefunden. Sie hat sich mal wieder verlaufen. Zu ihrer Verteidigung muss ich sagen, dass der Jakobsweg aus dem Dorf heraus sehr lückenhaft ausgeschildert war. Ich hätte auch beinahe die falsche Abzweigung genommen.

Eszter und Stuart mussten feststellen, dass sie nicht genügend Essen für die nun folgenden 18 km ohne dazwischenliegende Zivilisation haben. Grade als sie es aussprachen, hielt direkt vor unseren Füßen ein Wagen mit frischen Broten. Immer wieder herrlich diese Zufälle! Im Englischen gibt es dafür den schönen Begriff „Trail Magic“. Mir ist leider ein ziemlich blöder Fehler unterlaufen. Beim Auffüllen der Trinkflasche an einem Brunnen ist sie mir aus der Hand gerutscht und kaputt gegangen. Sie ist schon öfter runtergefallen, aber das gab ihr letztlich den Gnadenstoß. Glücklicherweise habe ich heute Morgen in einer Tankstelle eine 0,5L Wasserflasche als Notreserve für das 4 stündige Teilstück gekauft. Das versprach mehr als sportlich zu werden. Die Temperaturen waren zum Glück relativ niedrig, worüber ich sehr dankbar war. Wäre es noch so heiß wie vor einer Woche, würde ich jetzt in ernsthaften Schwierigkeiten stecken.

Liz hielt sich an ihr eigenes Tempo und so gingen wir zu dritt voraus. Die Langeweile vertrieben wir mit Musik hören und Gesprächen über alle möglichen Themen. Stuart erzählte, dass sein Opa dieses Jahr verstorben sei. Er widmete ihm den Camino, weil er ebenfalls ein begeisterter Wanderer war. Wenn er den Jakobsweg beendet, möchte er anschließend ein paar Wochen in einer Herberge gegen Kost und Logis arbeiten. Danach reist er noch solange durch Europa, bis ihm das Geld ausgeht. Seine Eltern haben ihm versprochen, das Heimticket nach Neuseeland zu bezahlen. Vor 2 Jahren ist er nach London gezogen und arbeitete dort als Barkeeper. Als sein Visum auslief, fing er an den Jakobsweg zu wandern und so kam es, dass wir jetzt in dieser tollen Gruppe zusammen in Spanien pilgern. Zum Mittag legten wir eine lange Pause ein und schlugen uns die Bäuche voll. Als wir wieder aufbrechen wollten, hat Liz zu uns aufgeschlossen. Sie hatte eine ganz besondere Überraschung für uns. Sie möchte uns eine Nacht im 5 Sterne Hotel von León spendieren! Wow, uns verschlug es glatt die Sprache!

Irgendwann geht auch der längste Weg mal zu Ende und wir checkten am Nachmittag in der Herberge von Religos ein. Um Eszter’s Geburtstag gebührend zu feiern, suchten wir uns einen schönen Platz. Schon von weitem hörten wir aus einer knallbunten Bar Rock ’n‘ Roll Musik spielen. Die mit Abstand abgefahrenste Bar die ich je gesehen habe! Alle Wände, außen wie auch drinnen, waren bemalt oder beschrieben. Der Barkeeper war so ein spezieller Typ mit einer unglaublichen Ausstrahlung – wie ich später hörte, saß er sogar schon wegen einem Banküberfall im Gefängnis. Während die anderen sich was Alkoholisches orderten, bestellte ich einen ColaCao, wofür mich der Barkeeper erst einmal ordentlich auslachte. Von einer großen Keule auf dem Tresen schnitt er jedem eine Scheibe Schinken ab und gab sie uns zusammen mit einem Stück Käse auf einem Teller. In den Kochsendungen würde man dazu jetzt „Geschmacksexplosion“ sagen, so lecker wie es geschmeckt hat.

Wir setzten uns draußen in die Sonne und bekamen bald von einem Ehepaar aus Colorado Gesellschaft. Mit der Zeit wurden es immer mehr: eine Brasilianerin, ein Ami aus San Francisco und 4 Deutsche. Mit dem Tisch zogen wir mit fortschreitender Stunde die Straße immer weiter hoch, um nicht im Schatten zu sitzen. Für den Barkeeper, der uns das Essen brachte, artete das nachher schon zu richtiger Laufarbeit aus. Wie wir so beisammen saßen und erzählten, wünschte ich mir, dass der Tag nie aufhören würde – so schön war die Atmosphäre und die Leute um mich herum. Eins war für mich klar: so etwas möchte ich noch viel öfter erleben und der Camino soll erst den Anfang gewesen sein!

Stuart, der ein klein wenig zu tief ins Glas geguckt hat, bestand darauf, beim Abräumen des Tisches helfen. Gekonnt nahm er einen Teller nach dem anderen und ging leicht torkelnd Richtung Bar. Es kam wie es kommen musste – mit einem lauten *Klirrrrr* landeten zwei von ihnen auf dem Boden. Der Barkeeper nahm es völlig gelassen und lachte nur.

Morgen geht es nach León, der Endstation meiner Reise. Ziemlich komisches Gefühl…

 

 

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