So gut habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr geschlafen. Niemand hat geschnarcht und das Bett war einfach nur göttlich. Um 10 Uhr haben wir uns auf das Buffet gestürzt. Zwischen den fein gekleideten Leuten sahen wir mit unseren dreckigen Pilgersachen ziemlich fehl am Platze aus. Aber ehrlich gesagt hätte es uns nicht gleichgültiger sein können. Eine geschlagene Stunde hab ich mir immer wieder Nachschlag von dem köstlichen Essen geholt. Die anderen haben sich schon darüber lustig gemacht, wie viel ich verschlingen kann. Stuart schmuggelte sogar etwas in den kleinen Verpackungen des Müslis raus, quasi für schlechtere Zeiten.Zum Mittag mussten wir das Hotel wieder verlassen. Leider hieß es jetzt auch Abschied von Eszter zu nehmen. Ich glaube ihr fiel es am schwersten, da sie ab jetzt auf sich allein gestellt ist. Sie hielt immer noch an ihrem Plan fest, Santiago rechtzeitig zu erreichen. Viel Zeit blieb ihr allerdings nicht mehr, sodass sie fast 35 km am Tag laufen muss. Als ich wieder zu Hause war, hab ich erfahren, dass sie es nicht geschafft hat, aber wenigstens Stuart wiedergetroffen hat.

Liz, Stuart und ich suchten uns eine neue Bleibe für heute Nacht und sind danach wie verabredet zum Mittagessen mit Paul und seiner Familie gegangen. Genauer gesagt haben wir ihnen dabei nur zugeguckt, weil wir nicht in der Lage waren, auch nur einen Happen runterzugkriegen. Sie erzählten, dass sie nach dem Camino weiter durch Europa reisen wollen. Ich habe sie daraufhin natürlich zu mir nach Hause eingeladen, falls sie mal in Deutschland sind. 3 Monate später standen sie tatsächlich vor meiner Haustür. Gut möglich, dass sie die ersten Australier in meiner kleinen Heimatstadt waren. Wir haben uns riesig gefreut, uns wiederzusehen und hatten ein tolles Wochenende! In ein paar Jahren werde ich sie in Down Under besuchen – das hab ich ihnen versprochen.

Morgen geht’s mit dem Zug nach Santiago. Das Ticket haben Stuart und ich heute schon im Bahnhof gekauft. Zum Glück konnte die Dame an der Rezeption unseres Hotels Englisch sprechen, sodass ich sie bitten konnte, eine Zugverbindung rauszusuchen. So ersparte ich mir das unvermeidliche Verständigungsproblem am Bahnhof. Den Rest des Nachmittags unterhielt ich mich mit ihm darüber, was wir von dem Camino gelernt haben. Ich habe zum Beispiel meine Prioritäten fürs Leben völlig neu gesetzt: bevor ich herkam, wollte ich auf einen PS starken Sportwagen sparen, was mir jetzt allerdings ziemlich dämlich vorkam. Wieviel man mit dem ganzen Geld um die Welt reisen könnte! Vor dem Jakobsweg hab ich zudem schon gemerkt, dass mir irgendetwas im Leben fehlt. Ich kaufte mir die verschiedensten Sachen, die dieses Verlangen nach Zufriedenheit allerdings nur kurz stillen konnten. Wenn wir mal ehrlich sind, brauchen wir das meiste Zeug überhaupt nicht, was wir für ach so wichtig halten. Wenn sich jemand zum Beispiel einen neuen, größeren Fernseher kauft, weil ihm der alte nicht mehr genügt – wird er sich in 20 Jahren noch daran erinnern, was er für einen Fernseher hatte? Garantiert nicht. Wenn jemand dasselbe Geld für eine Reise ausgibt, wird er sich nach der selben Zeit daran erinnern können? Sogar mit sehr großer Wahrscheinlichkeit! Denn das sind Dinge, an denen man persönlich reicher wird; die einen zu dem machen, der man ist.

Am Abend blätterte ich noch einmal durch den Reiseführer. Darin stand etwas von dem „Pantheon der Könige“. Dies ist der Rest des Palastes der Könige von León. Die Besichtigung sei ein Muss für jeden Pilger – na dann auffi! In 40 Minuten schließt es schon! Im Laufschritt sind wir durch die Stadt geeilt, haben uns erst verlaufen und es dann mit der Hilfe von ein paar Jugendlichen doch noch gefunden. Wir kamen grade rechtzeitig zu der letzten Führung. Im ersten Raum knipste ich ein Foto und wurde sofort von der Aufseherin gemaßregelt. Das sei hier verboten. Gut, dann halt keine Fotos. Im nächsten Raum befand sich eine alte Bibliothek und wirklich jeder machte unbehelligt Bilder davon. Dann kann das Verbot ja doch nicht so streng sein, dachte ich mir. Natürlich erwischte mich die gute Dame von vorhin, als ich ein Buch fotografierte. Mit ernstem Gesicht sagte sie „You cannot see the Pantheon!“. Wurden wir einfach rausgeschmissen! Aber selbst Schuld – wenn ich will, kann ich es mir ja nächstes Jahr noch einmal angucken. Das heißt, falls sie sich nicht an mein Gesicht erinnert.

Als wir durch die Stadt schlenderten, wurde Stuart von einem Pilger angesprochen. Sie kannten sich irgendwoher und er lud uns zu der Bareröffnung eines Freundes ein. Stuart, der früher selbst als Barkeeper gearbeitet hat, musste dem Betreiber zunächst einmal zeigen, wie man mit dem Milchaufschäumer die besten Resultate erzielt. Lange konnten wir leider nicht bleiben, weil die Herberge um 21:30 Uhr ihre Pforten schließt. Sie wurde von Mönchen geführt, die diesen Abend eine Messe hielten. Zusammen gingen wir mit den anderen Pilgern durch das Eingangstor nach draußen und ein paar Häuser weiter in den Raum, wo die Messe gehalten wurde. Nach 5 Minuten hatte ich allerdings die Nase voll und wartete auf dem Marktplatz davor. Als sie nach einer halben Stunde noch nicht wieder rausgekommen sind, guckte ich durch das Fenster und musste feststellen, dass niemand mehr dort war. Oh Mist! Ich nahm an, dass sie über einen Hinterausgang zur Herberge gelangt sind und ich jetzt die Nacht in der Kälte verbringen müsste. Im Gedanken suchte ich schon nach Orten, wo ich schlafen könnte. Da wäre zum einen die Bar, in der wir noch vor kurzem saßen, oder der Bahnhof. Weitere 15 Minuten später konnte ich allerdings aufatmen, als sie doch noch rauskamen. Was für ein Schreck!

 

 

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