Die Nacht war sehr erholsam. Befanden sich nur 100 weitere Pilger im Raum, von denen gefühlt mindestens 4 von 3 schnarchten. Aber zum Glück waren die Betreiber der Herberge so gütig, uns ausschlafen zu lassen. Bis 6 Uhr. Dann ging die Festbeleuchtung an. Dank Eddie gab es sogar noch Frühstück vor Ort. Er entdeckte einen Automaten mit Fertiggerichten, die man sich in der Mikrowelle warm machen konnte. Bevor wir uns auf den Weg machten, erleichterte ich den Rucksack um eine Plane und dazugehörige Seile. Was knappe 2 Kilo weniger auf den Schultern bedeutete. Ein Leichtgewicht ist er durch die Aktion jedoch nicht geworden. Geschätzte 12 Kilo bringt er noch auf die Waage.
Gestern Abend hat es schon angefangen zu regnen und bis jetzt auch nicht aufgehört. Die Wege waren dementsprechend schlammig und rutschig. Um in den zum Teil recht steilen Abhängen nicht auf die Nase zu fallen, hab ich mir im Wald einen Wanderstock, oder besser gesagt Wanderast gesucht. Gewichtsmäßig lag er ungefähr auf Karbonfaser-Niveau. Also +/- 1 Kilo. Trotz der Krücke waren Eddie und Ian deutlich schneller als ich. Zum Glück machten sie sich nicht viel daraus, ständig auf mich warten zu müssen. Als wir in einem kleinen Dörfchen ankamen, konnte ich nicht mehr weiterlaufen. Die Knieschmerzen waren unerträglich geworden. Zum Glück befanden sich im Erste Hilfe Set ein paar Aspirin Tabletten. An dieser Stelle ein großes Dankeschön an meine Kollegin, die mich erstmal auf die Idee gebracht hatte, welche mitzunehmen. Ohne die wäre hier schon Schluss mit der Pilgerei gewesen. Ich habe vorher noch nie Schmerztabletten nehmen müssen und umso überraschter war ich, wie wirksam sie sind! Nach einer halben Stunde konnte ich wieder laufen, als wäre nie was gewesen. Der Regen hat den Jakobsweg mittlerweile überflutet. Und doch hab ich es irgendwie geschafft, trockene Füße zu behalten. Angesichts des miserablen Zustands meiner Schuhe ein kleines Kunststück. Der Wanderstock stellte sich auf den glitschigen Abhängen als absolut notwendig heraus. Ohne ihn hätte ich die Konsistenz des Schlamms des Öfteren aus nächster Nähe prüfen können.
Hatte ich schon erwähnt, dass das Wandern ziemlich hungrig machen kann? Ich hab ohnehin einen gesunden Appetit, aber das stundenlange Berge hoch- und runterklettern treibt den Kalorienbedarf in ungeahnte Höhen. Dummerweise hab ich es versäumt, genügend Proviant für die Tagestour einzukaufen. Mit grummelndem Magen zog ich stundenlang durch den Wald. Und gerade wenn man es am wenigsten erwartet, passieren die schönsten Sachen. In unserem Fall tat sich vor uns nach langer Zeit eine Lichtung mit angrenzender Straße auf. An sich nichts aufregendes. Würde dort kein Imbisswagen stehen, der einen mit allem versorgt, was das Herz begehrt. Mit einer Prinzenrolle und frischem Elan flogen die letzten Kilometer nur so dahin. In Zubiri angekommen, machten wir uns auf die Suche nach einem Schlafplatz. Einige Pilger standen an der Hauptstraße und warteten auf ein Taxi. Sie wollten in die nächste Stadt fahren, weil sie nicht in der örtlichen Sporthalle übernachten wollten. Richtig gehört – Sporthalle. Das Gute an der Unterkunft war, dass sie wenig kostete. Wir schnappten uns je eine Matratze und schlugen unser „Lager“ in einer Ecke auf. Alles andere als gemütlich, aber wir nahmen das Ganze mit Humor. Was blieb uns auch anderes übrig? Die Pilger die nach uns eintrafen, hatten weniger Glück. Es gab einfach nicht genügend Matratzen. Normalerweise braucht man auf dem Jakobsweg keine dicke Isomatte. Deswegen haben die meisten, wenn überhaupt, nur eine hauchdünne dabei. Einer jungen Frau habe ich noch angeboten, dass wir unsere 3 Matratzen zusammenschieben, damit sie auch noch Platz darauf hat. Zugegeben, das klingt schon sehr merkwürdig. Ich schwöre aber keine böse Absichten gehabt zu haben. Sie hat dann auch dankend abgelehnt und lieber auf dem harten, kalten Boden geschlafen.
Weil nichts anderes zu tun war, gingen wir nochmal durch’s Dorf. Wobei es bei mir eher ein Humpeln war, da die Wirkung der Schmerztablette inzwischen wieder nachgelassen hatte. Eddie erkundigte sich nach einer Farmacia – auf Deutsch Apotheke. Zu meiner freudigen Überraschung gab es tatsächliche eine. Bei dem kleinen verschlafenen Nest keine Selbstverständlichkeit. Wahrscheinlich beruht ihr Vorhandensein wohl ganz allein auf den Leiden der vielen Pilger. Die Apothekerin empfahl eine Kniebandage. Wer auch immer der Erfinder dieser kleinen Stütze ist, er sollte einen Nobelpreis dafür kriegen. Statt zu humpeln, konnte ich wie ein junges Reh durch die Straße springen… naja fast.
Um den Tag gebührend ausklingen zu lassen, wollten wir schick im Restaurant essen gehen. Da es nur eines gab, fiel die Entscheidung leicht. Wir hatten Glück, ein richtiger Nobelhobel-Schuppen! Der Kellner war sehr vornehm in einem Adidas Jogginganzug gekleidet. Als Vorspeise gab es Spaghetti Bolognese. Das Hauptgericht bestand aus Fisch und Pommes. Bei dem Dessert hatten wir die Wahl zwischen Eis, einem Stück Kuchen und Obst. Während Ian und ich ein Eis nahmen, entschied sich Eddie für das Obst. Als er dann eine ungeschälte Banane auf einer Untertasse serviert bekam, brachen wir in schallendem Gelächter aus.