Mit dem geringeren Gewicht auf dem Rücken ging es heute viel besser. Die Stimmung war wie immer ausgelassen und doch hatte ich ein komisches Gefühl. Heute ist der letzte Tag, den ich mit Eddie und Ian verbringen würde. Ich hab die beiden in den vergangenen Tagen richtig in mein Herz geschlossen. Wir unterhielten uns über dies und jenes, bis wir auf das Thema Fotos kamen. Eddie musste feststellen, dass er 50 Bilder weniger als ich gemacht hatte. Ein Chinese, der weniger Bilder als ein Deutscher gemacht hat! Anscheinend fühlte er sich in seiner Ehre gekränkt und hämmerte ab diesem Zeitpunkt auf den Auslöser bis die Linse glühte.

Nach ein paar Kilometern kamen wir durch eine kleine Ortschaft, als plötzlich Niko und Ralf aus ihrem Motel trotteten. Was für ein Zufall! Aber auf dem Camino wundert man sich bald über gar nichts mehr. Kurz vor 12 hing uns der Magen in den Kniekehlen. Beim Versuch in einem Restaurant ein Mittagessen zu bestellen, wurden wir von der Kellnerin ausgelacht. In Spanien wird erst ab 14Uhr serviert. Zumindest dort, wo man sich nicht nach den Touristen richtet. Das war aber auch nicht weiter schlimm, die nächste Stadt war keine 5 Minuten entfernt. Endlich raus aus der sengenden Sonne. Im Schatten der Häuser haben wir eine ausgiebige Siesta gemacht. Mit vollem Bauch verließen wir die kühle Bar und wurden von der Hitze fast erschlagen. Auf den folgenden 6 Kilometern leerte sich die Wasserflasche schneller als mir lieb war. Eine halbe Stunde vor unserer Ankunft in Lorca kamen wir an einen Fluss. Ohne groß drüber nachzudenken, hab ich das restliche Wasser in mich hinein geschüttet, denn dort könnte ich die Flasche ja wieder auffüllen. Für solche Situationen habe ich extra Desinfektionstabletten gekauft. Stolz erzählte ich Eddie und Ian von meinem tollen Plan, bis mir einfiel dass man 30 Minuten warten muss, bis das Wasser trinkbar ist. Verflucht – die Logik hinkt! Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu Sorgen – und so durfte ich mir das Gelächter der beiden anhören. Selber schuld. Nach einer gefühlten Ewigkeit ohne Wasser sind wir endlich angekommen. Zum Glück gab es gleich am Ortseingang einen Brunnen.

Und dann war der Moment gekommen, wo ich mich schweren Herzens von Eddie und Ian verabschieden musste. Wir machten es kurz und schmerzlos. Ich hasse Abschiednehmen. Als ich aus dem Ort raus war, konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten, wie ein Schlosshund hab ich geheult. Da fiel mir wieder ein, was Hape Kerkeling schrieb: „Irgendwann weint jeder einmal auf dem Jakobsweg“. Als ob ich schneller über den Verlust meiner Freunde kommen würde, indem ich schneller gehen würde, steigerte ich das Tempo immer weiter. Der Blase unter meinem rechten Fuß war das offensichtlich zu viel. Auf einmal machte es *plopp* und die ganze Soße aus der Blase war im Socken verteilt. Das hat gebrannt wie die Hölle! Villatuerta war nicht mehr weit entfernt und doch schien es unerreichbar. Unter einem Baum hab ich die Sauerei notdürftig bereinigt und die Wunde desinfiziert. An normales Gehen war nicht mehr zu denken. Humpelnd hab ich es dann doch noch irgendwie zur nächsten Herberge geschafft. Zu meiner großen Freude war Cecilia ebenfalls da. Natürlich konnte sie es sich nicht nehmen lassen, mich zu betatschen und irgendeinen Stuss zu erzählen. In einem kleinen Moment der Unachtsamkeit hab ich mich dann in den Garten geschlichen und den Fuß verarztet. Trotz des neuen Rückschlags hielt ich immer noch an dem Plan fest, bis nach Santiago zu laufen. Bis dahin waren es noch 680km. Die erste von 4 Wochen Urlaub waren bereits rum.

Zum Abendessen versammelten sich alle Pilger im Speisesaal. An meinem Tisch saßen 3 belgische Ex-Soldaten, mit denen ich mich gut verstanden hab. Ein Platz war allerdings noch frei. Und eine Person fehlte noch. Cecilia. Was hab ich nur verbrochen, dass mich diese Frau unaufhörlich verfolgt! Den drei Belgiern hab ich von meinem Plan erzählt, in ca. 18 Tagen nach Santiago zu laufen. Sie hielten es für unmöglich und fragten, warum ich es nicht langsamer angehe und nächstes Jahr den Rest laufe. Der Gedanke kam mir vorher nie in den Sinn, ließ mich aber die ganze Nacht nicht zur Ruhe kommen. Angenommen ich würde ihren Ratschlag befolgen, würde das heißen, wieder mit Eddie und Ian wandern zu können.

 

 

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