Die Nacht war denkbar unerholsam. Dazu kam noch, dass der Wecker um 5 Uhr klingelte, damit ich ohne gesehen zu werden verschwinden kann. Bis das ganze Zeug wieder im Rucksack verstaut und Frühstück gegessen war, vergingen ganze 2 Stunden. Das muss zukünftig definitiv schneller gehen! Als Warm-Up des Tages galt es eine elendig lange Treppe zu erklimmen. Oben angekommen, offenbarte sich der herrlichste Platz zum Zelten, sogar mit Blick aufs Meer. Hätte ich das nur vorher gewusst!

Die letzten beiden Mahlzeiten waren mehr als dürftig. Nach der gestrigen Anstrengung hätte ich ein ganzes Spanferkel verdrücken können. Stattdessen gab es eine Ration, die selbst den Dschungelcampbewohnern zu wenig gewesen wäre. Zusammen mit dem Schlafmangel war das eine richtig besch*** Kombination. Ungefähr alle 10 Minuten musste ich eine Verschnaufpause einlegen. Erste Zweifel machten sich breit, ob ich diese Tortur nicht beenden sollte. Ich klammerte mich an die Hoffnung, mich mit der Zeit noch an das Gewicht zu gewöhnen…

Nach Zeiten der Einsamkeit begegnete ich kurz vor einer Weggabelung einer anderen Pilgerin – es gibt also doch noch mehr! Leider wollte sie einen 3 km Umweg nehmen, um zu frühstücken. Beim besten Willen, dazu war ich nicht im Stande und ließ sie gehen. 2 Stunden später holte sie mich wieder ein. Während wir erzählten, raste ein anderer Pilger an uns vorbei. Sie hatte vorher kurz mit ihm gesprochen und erfahren, dass er in 100 Tagen insgesamt 3000 Kilometer wandern will. Er schien wie eine junge Gazelle ohne Mühe und mit riesen Schritten zu laufen. Neidisch blickte ich ihm hinterher. Die nächsten 1 oder 2 km ging es nur bergauf. Der Part auf der Straße war noch leicht, im Gegensatz zu dem, was dann folgte: ein von Wurzeln übersäter, steiniger Waldweg und extrem steilen Abschnitten. Unter beiden Füßen bildeten sich inzwischen 2 beunruhigend große Blasen und machten mir das Leben zusätzlich schwer. In einem Dorf stand ich erneut vor der Wahl, den Bus zu nehmen oder weiterzukämpfen. Es war so verlockend, sich einfach in die nächst größere Stadt kutschieren zu lassen. Aber nein, noch gebe ich mich nicht geschlagen!

Nach insgesamt 24 km erreichte ich Castro Urdiales. Vom Ortseingang sind es laut Handbuch noch 5 km zur Albergue – das sind eindeutig 5 km zu viel! Beinahe auf allen Vieren kriechend schleppte ich mich zum nächstgelegenen Hotel. Bei meinem Dusel war es natürlich schon voll, ein anderes war laut der Rezeptionistin allerdings nicht weit entfernt. Die grobe Richtung wissend, machte ich mich auf die Suche. Ohne fremde Hilfe ging es doch nicht und so fragte ich mich bei Einheimischen durch. Nur konnten wir uns leider nicht so richtig verständigen. Ein älteres Ehepaar aus Bristol hat meine missliche Lage erkannt und wie der Zufall es so wollte, kamen sie grade von dem Hotel, zu dem ich wollte. Sie haben mich freundlicherweise bis zur Eingangstür begleitet. Die Frau an der Rezeption war zum Glück des Englischen mächtig, und so buchte ich ein Zimmer für 2 Nächte. 46,50 Euro kostete der Spaß, die Erholungspause war aber mehr als nötig. Im Spiegel sah ich zum ersten Mal das Ausmaß der Blessuren: die Schultern waren knallrot und fürchterlich entzündet, die Hüfte wund gescheuert, von den Füßen fang ich lieber erst gar nicht an. Meine Stimmung befand sich auf dem absoluten Nullpunkt. Bei einem Bad schaute ich schon nach, was es kosten würde, den Rückflug umzubuchen. Da habe ich mich jetzt ein Jahr lang drauf gefreut, den Jakobsweg zu beenden und möchte jetzt am liebsten wieder nach Hause. Das würde ich mir nie verzeihen, wenn ich jetzt die Flinte ins Korn werfe. Ich schmiss die ganze Ausrüstung auf’s Bett und sortierte aus: Zelt, Isomatte und alles was sonst noch zum Campen gedacht war, würde ich morgen nach Hause schicken. Nach einer Stunde wog der Rucksack sage und schreibe 11 kg weniger, wodurch ich sogar wieder aufrecht gehen konnte. Ja, damit haben meine Kollegen dann wohl ihre Wette gewonnen! Und ich war um die Erfahrung reicher, dass ich auf dem Appalachian Trail mit der Ausrüstung sowas von auf die ****** gefallen wäre.

Am Abend ging ich in ein Fischrestaurant, dass mir das englische Ehepaar von heute Nachmittag empfohlen hat. Weil es keine Speisekarte in Englisch oder Deutsch gab, überließ ich dem Kellner die Entscheidung. Macht das bloß nicht nach, Kinder! Ein späterer Blick auf die Speisekarte zeigte, dass es sich um einen Nobelhobel-Schuppen mit Gerichten bis 120 Euro handelt. Oh Gott! Worauf hab ich mich denn hier eingelassen?! Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich es erwogen, ohne zu zahlen abzuhauen. Ich blätter doch keine 100 Euro für einen Fisch hin! Als die Rechnung kam, war die Erleichterung groß – es waren doch nur 12 Euro, auch wenn die Portion nicht grade sehr groß war. Zurück im Hotel gönnte ich mir eine Nachspeise in Form eines Salats und ging anschließend ins Bett. Auf das morgen ein besserer Tag wird!

 

 

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