Ohne Zweifel zählt der heutige Tag zu den besten auf dem Trail. Das Wetter war erste Klasse, das Klettern auf den Felsen hat richtig Spaß gemacht und als I-Tüpfchelchen wurden wir mit grandiosen Ausblicken ins Tal hinunter belohnt. Und in Goldstar’s Gesellschaft hat man sowieso immer was zu lachen. Wir gingen fast den ganzen Tag zusammen und erzählten über Gott und die Welt. Und vielleicht gibt es sogar ein Wiedersehen auf dem Pacific Crest Trail! Eigentlich hatte ich mir den E-10 für nächstes Jahr ausgeguckt, aber nachdem so viele coole AT-Hiker davon reden, den PCT 2016 in Angriff zu nehmen, bin ich ja quasi dazu gezwungen, es ihnen gleich zu tun :-)  Nachmittags, ich dachte an gar nichts Böses, hörte ich ungefähr 2 m vor mir ein lautes Rascheln. Eine Klapperschlange hatte es sich auf dem Trail gemütlich gemacht und mich zum Glück gewarnt, ehe ich sie sah. Da sie nicht die geringste Lust verspürte, sich vom Fleck zu bewegen, musste Goldstar mit seinen Trekkingstöcken nachhelfen. Am Shelter trafen wir Jester wieder, der letzte Nacht ebenfalls im Pavillon übernachtet hat. Er ist einer der wenigen Menschen, die sich als “Triple-Crowner“ bezeichnen können. Dazu muss man den Appalachian Trail, Pacific Crest Trail und Continental Divide Trail durchwandern. Die Geschichten, die er zu erzählen hatte, waren einfach unglaublich. Über die letzten beiden Trails hat er Filme veröffentlicht, die ich mir auf jeden Fall angucken will. Da er mit dem AT vor 15 Jahren angefangen hat, will er seine “Thru-Hiker-Karriere“ mit eben diesem beenden und den noch fehlenden dritten Film drehen. Vielleicht sind wir ja auch zu sehen, weil wir mindestens noch die nächsten 2 Tage mit ihm wandern werden.

Der heutige Tag war so ziemlich das genaue Gegenteil von gestern. Vormittags hat es einmal kurz, dafür aber kräftig, geregnet. Das genügte, um die Steine glatt wie Seife werden zu lassen. Einige Felsen musste ich auf dem Hosenboden runterrutschen, um mir nicht alle Knochen zu brechen. Das war das erste Mal seit Beginn des Trips, dass ich Angst hatte, auszurutschen und mir ernsthaft weh zu tun. Und immer, wenn man denkt, schlimmer kann’s nicht kommen, wird man eines besseren belehrt. Wir turnten gerade auf offenem

Gelände über die Felsen, als der erste Donner zu hören war. Der Wald war nicht fern und so gingen wir bald darauf unter dem Schutz der Bäume weiter einen Berg hinauf. Natürlich stand das Gewitter genau dann über uns, als wir uns über der Baumgrenze befanden. Ich rannte solange, bis ich ein Mini-Wäldchen erreichte und dort eine geschlagene Stunde wartete, bis das schlimmste vorbei war. Das nächste Gewitter war schon auf dem Weg, weshalb ich das kleine Zeitfenster nutzen wollte, um zum Shelter zu gelangen. Als ich mich auf den Weg machte, war ich bereits leicht unterkühlt und völlig durchgeweicht, weil ich den Regenschirm, aka Blitzableiter mit Aluminiumstreben, nicht über meinen Kopf halten wollte. Deshalb musste ich besonders schnell gehen, um wieder auf Betriebstemperatur zu kommen. Am Shelter angekommen, erzählte ein anderer Wanderer, dass für heute Nachmittag sogar eine Tornadowarnung für die Region rausgegeben wurde. Die 3 Müllsammler, die ich zuletzt vor einem Monat gesehen habe, kamen kurz nach mir an. Dies war ihr erster Tag, nachdem sie sich eine kleine Auszeit vom Trail gegönnt haben. Anders als wir, beschlossen sie, noch weitere 10 Meilen zu gehen. Und das obwohl Regen angesagt war und eine schwierige Kletterpassage bevorstand. Mich hätten keine 10 Pferde dazu bewegen können, noch weiterzulaufen. Ich wollte mich nur noch in meinen Schlafsack murmeln und schlafen.

Weil ein Paket in der Poststelle auf mich wartete und wir ohnehin Essen einkaufen mussten, gingen wir morgens in die Stadt. “Gehen“ deshalb, weil uns niemand die 2 Meilen im Auto mitnehmen wollte. Drum machten wir uns einen Spaß daraus, die Trucks zum Hupen zu animieren und den entgegenkommenden Autos zuzuwinken. Frühstück aßen wir bei McDonald’s und erzählten der Kassiererin, dass wir den ganzen Weg von Georgia auf uns genommen haben, nur um hier zu dinieren. Jester leistete uns auch bald Gesellschaft, bevor wir gemeinsam einkaufen gingen und ich mein Paket abholte. Um nicht wieder zum Trail zurücklaufen zu müssen, fragte Goldstar solange im McDonald’s herum, bis er einen netten alten Herrn gefunden hatte, der uns fuhr. Der kommende Anstieg war berühmt-berüchtigt, weil man für ungefähr einen Kilometer die extrem steilen Felswände hochklettern muss. Das hat sogar richtig Spaß gemacht. Aber im Regen würde ich jedem davon abraten, es zu probieren. Für die Trailmagic unterwegs war ich sehr dankbar, auch wenn es “nur“ Wasser war. Denn wenn man nicht gerade eine halbe Stunde zu einer Wasserstelle laufen wollte, musste man genügend Wasser für 25 km mitnehmen. Ohne die Unterstützung der Trail-Angel wäre ich wahrscheinlich total dehydriert am Shelter angekommen. Den Abend verbrachten Jester, Goldstar und ich wiedermal damit, dummes Zeug zu labern und uns schief und krumm zu lachen. Außerdem hatte Jester eine Überraschung für uns: seine Mutter kann morgen unsere Rücksäcke zu unserem Zielort fahren, sodass wir nur ein bisschen Essen und Wasser mitnehmen brauchen. Eigentlich war meine Meinung über das sogenannte “Slackpacking“ immer, dass ich das nie machen werde, weil es Schummeln gleichkommt. Ausprobiert hatte ich es aber noch nie, und außerdem wollte ich auch nicht der einzige sein, der seinen schweren Rucksack schleppt. Nach einer Stunde Fußmarsch erreichten wir den Parkplatz, wo Jester’s Mutter auf uns wartete. Sie hatte Kekse, Kuchen, Wasser und Kaffee mitgebracht. Das war mein erster Kaffee seit 6 Jahren. Heute war sozusagen der Tag, um neue Sachen auszuprobieren :-)  Nur mit Wasser, ein paar Snacks und einem Sandwich beladen, war der Rucksack federleicht und das Wandern wesentlich angenehmer und einfacher. Von daher hat sich mein Verdacht bestätigt – wer slackpacked, schummelt. Für den geschwollenen Knöchel von Jester war es jedoch genau das richtige (mal davon abgesehen, dass ein Ruhetag noch besser gewesen wäre). Das Wetter war genau richtig – nicht zu warm und nicht zu kalt. Goldstar und ich haben allerhand Blödsinn gemacht und Jester hat uns ein paar Geschichten seiner Wanderungen erzählt. Rundum ein perfekter Tag, der mich in gewisser Weise an einen Wandertag mit der Schulklasse erinnerte. Gegen 17 Uhr erreichten wir den Parkplatz nahe Delaware Water Gap, wo Jester’s Mum wieder auf uns wartete. Jester fuhr mit ihr nach Hause, um seinen Knöchel für 3 Tage komplett zu schonen und Sonntag wieder auf den Trail zurückzukehren. Goldstar will nächste Woche für 4 Tage nach New York fahren und den Geburtstag einer Freundin feiern. Er meinte, dass ich ebenfalls mitkommen könne. Zuerst fand ich die bloße Vorstellung an einen Aufenthalt in der Millionenmetropole total abschreckend. Andererseits wäre es eine völlig neue Erfahrung und zudem noch relativ günstig, weil die Übernachtung kostenfrei ist. Wann kriegt man schon mal so eine Möglichkeit geboten? Aber 100% sicher ist der Besuch noch nicht – sollte es jedoch klappen, würden wir wieder mit Jester wandern können. Abends gingen wir in das Hostel der örtlichen Kirche und hatten das Glück, am einzigen Tag in der Woche anzukommen, an dem es ein freies Abendessen gibt.

Endlich haben Pennsylvania hinter uns gebracht! Die erste Hälfte der insgesamt 230 Meilen war ja noch einfach. Danach begann eine nicht enden wollende Folter der Füße und Knie über Steine und Felsen aller Größen und Formen. Für die kommenden Tage wandern wir in New Jersey und der Vormittag war einfach herrlich. Der Trail war viel angenehmer zu gehen; wir sahen 3 Truthennen (ihr wisst schon – die weiblichen Truthähne) mit ihren Trutküken und entspannten eine Zeit lang am See. Danach wurde es allerdings wieder genauso steinig, wie in den letzten Tagen. Die Füße schmerzten wie verrückt, weshalb wir viele Pausen einlegten. Am Nachmittag kamen wir an einem Trail-Magic Picknick vorbei und wurden mit kalten Getränken, Früchten und Cheeseburger verwöhnt. Erst um 16 Uhr machten wir uns wieder auf die Socken, mit noch 18 km zu gehen. Ich erreichte das Shelter 4 Stunden später, während Goldstar sein Abendessen unterwegs kochte und erst im Dunkeln ankam. Wir hatten schon ordentlich mit der Distanz von 40 km zu kämpfen. Deswegen war ich umso beeindruckter von der Leistung des 74-jährigen Loner Bohner, der heute Morgen ebenfalls von dem Hostel in Delaware Water Gap startete und vor uns ankam. Trotz seines Knochenkrebses und einer Sterilisation hat er den AT bereits 2x komplett durchwandert und befindet sich nun auf seinem dritten Thru-Hike – einfach unglaublich!

Mit meinem Regenschirm bin ich morgens aufgebrochen, da es leicht regnete. Bei den schwierigen Kletterpassagen steckte ich ihn jedoch in die Seitentasche meines Rucksacks. Eine halbe Stunde später wollte ich ihn wieder rausholen und musste entsetzt feststellen, dass ich ihn verloren hatte. Ich wartete eine gute Stunde im ersten Shelter auf die Leute, die ich überholt habe und hoffte, dass sie ihn mitbringen würden. Leider tauchten sie nicht auf, sodass ich schließlich in den sauren Apfel biss und weiterwanderte. Ich fühlte mich dem Regen zum ersten Mal total ausgeliefert und realisierte, wie sehr ich an meinem Regenschirm hing. Und auf zukünftigen Wander-Trips werde ich definitiv immer einen dabei haben, soviel steht fest! Gegen 13 Uhr hörte es zum Glück auf zu regnen und Goldstar und ich legten eine kleine Pause auf einer Wiese ein. Heute war der amerikanische Tag der Unabhängigkeit, weshalb wir viele Leute mit Grill-Equipment in die Wälder ziehen sahen. Wären wir heute in einem “normalen“ Shelter abgestiegen, hätten wir uns mit den ganzen Betrunkenen rumschlagen müssen. Stattdessen entschieden wir uns für die Hütte auf Jim Murrays Farm, der seinerseits ein begeisterter Wanderer ist und Thru-Hikern ein Unterschlupf zur Verfügung stellt. Vielen Dank dafür!

Der heutige Tag war geradezu eine Achterbahn der Gefühle. Morgens rief Goldstar seinen Kumpel in New York an und fragte, ob wir beide zu Besuch kommen können. Er hatte nichts dagegen und ich freute mich schon riesig, diese verrückte Stadt einmal zu sehen. Eine Stunde später hieß es, dass wir nur 2 Tage bleiben können, weil es seinem Kumpel und seiner Frau sonst zu stressig wird. Ich hatte schon das dumme Gefühl, dass es an mir lag und riet Goldstar dazu, alleine nach NY zu fahren, auch wenn ich nur allzu gerne mit ihm weitergewandert wäre. Die letzten eineinhalb Wochen waren die lustigsten, die ich bisher auf dem Trail hatte. Dass er wieder zu mir aufschließen wird, ist äußerst unwahrscheinlich, da er mindestens 4 Tage lang vom Trail weg ist. Nachdem wir uns verabschiedet hatten, ging ich zu einer kleinen Farm, um was zu Essen zu kaufen. Keine 5 Minuten später tauchten Spice, Goose, Cap und Starcrunch (die Müllsammler) auf. Wir verbrachten den Rest des Nachmittags zusammen und stoppten am selben Shelter. Sie wollen morgen einen Nero-Day einlegen und fragten mich, ob ich nicht mitkommen will. Gute Gesellschaft ist jetzt genau das richtige, was ich brauchte und war froh, dass sie fragten.

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