Ein Glück hab ich mich für den Nero-Day mit Goose, Cap, Spice und Starcrunch entschieden. Bis in die Stadt waren es nur 9 Meilen, aber die waren in der Hitze extrem anstrengend. Ich ging mit Cap voraus, konnte jedoch nicht lange Schritt halten, weil er viel zu schnell war. Aus einiger Entfernung hörte ich ein lautes Rascheln mit einer Plane. Es war Cap, der ein verlassenes Zelt abbaute, um es in die Stadt zu schleppen. Bevor die Jungs von PackingItOut ihren Müll entsorgen, wird alles gewogen und sorgfältig dokumentiert. Das Zelt brachte 7 Pfund auf die Waage, der restliche Müll nochmal genau so viel. Weil die anderen auf sich warten ließen, gingen wir schon zum Motel, um einzuchecken. Nach 2 Stunden war immer noch keiner da, weshalb wir in die Stadt gingen, um einzukaufen und was zwischen die Zähne zu kriegen. Auf dem Weg dorthin, hielt urplötzlich ein Auto auf der gegenüberliegenden Straßenseite an und fragte, ob sie uns mitnehmen soll. Tara hat eben gerade Starcrunch zum Motel gefahren und war nun auf dem Rückweg. Trotz des typischen Gestanks eines Thru-Hiker war sie ganz fasziniert von uns. Ihr Bruder hat den AT vor ein paar Jahren durchwandert und sie möchte es auch irgendwann einmal tun. Sie setzte uns direkt vor dem kleinen Supermarkt ab, in dem sich Goose und Spice rumtrieben. Nach dem kleinen Einkaufsbummel aßen Cap und meine Wenigkeit in der Pizzeria gegenüber. Die Pizza war mit Abstand die größte die ich jemals gesehen hab. Cap schaffte nur ein Viertel, und ich war nach der Hälfte dieses Monstrums auch völlig voll. Nachmittags legten wir uns auf die faule Haut und guckten uns den Jurassic Park Marathon im Fernsehen an. Als ich abends nur mal kurz vor die Tür ging, stand auf einmal Tara vor mir. Sie hatte einen ganzen Beutel voller Snacks dabei, die sie jetzt an uns verteilte – wahnsinn, vielen Dank!
Die Landschaft war sehr schön, die Sonne knallte erbarmungslos auf uns herab, und das Terrain war sehr schwierig. Und das schlimmste war, dass ich mich ganze 3x mit meinem Fortschritt verschätzt habe. Drum hatte ich heute 3x nur noch 5 Meilen vor mir. Ungefähr mit jeweils einer Stunde dazwischen. Wenn man sowieso schon so erschöpft ist, trägt das nicht gerade zur Motivation bei! Ein großes Dankeschön geht an die Trail-Angel, die massenweise Wasserflaschen bereitstellten, sodass wir die recht langen trockenen Abschnitte gut überstanden. Das Highlight des Tages war der Lemon Squeezer (zu dt. die Zitronenpresse). Der Name kommt nicht von ungefähr. Man muss sich durch eine etwa 40-50 cm breite Felsspalte quetschen. Mit dem Rucksack eine ziemlich schwierige Aufgabe. Die Kletterpassage direkt danach war mindestens genauso spannend. Allerdings hab ich hier meinen Rucksack zuerst auf den 2 Meter hohen Vorsprung geworfen, bevor ich mich irgendwie dort hoch hievte. Eine Stunde vor dem Ziel trat ein für mich ganz neues Problem auf. Dadurch, dass die Hose klitschnass geschwitzt war, fing die Unterhose an, ganz fies zu scheuern. Am Shelter angekommen, war schon alles wund gescheuert. Hoffentlich kann ich morgen überhaupt wandern!
Das Problem mit dem Scheuern hab ich wenigstens halbwegs in den Griff gekriegt, indem ich zwischendurch immer mal die Hose hab fallen lassen, damit alles wieder ein bisschen trocknen kann. Und ich glaube zumindest, dass mich niemand dabei beobachtet hat. Zur Mittagszeit traf ich eine Schulkasse, die mich alles mögliche gefragt hat: wo ich nachts schlafe, welche Tiere ich schon gesehen hab usw. Apropos Tiere – der AT führte heute direkt durch den Tierpark von Bear Mountain, wo sich gleichzeitig auch der tiefstgelegene Punkt des ganzen Trails befindet. Die Tiere in solch kleinen Gehegen bzw. Glaskästen zu sehen, war irgendwie befremdend. Besonders, nachdem man viele von ihnen in freier Wildbahn gesehen hat. Nach der kleinen Besichtigungstour ging es über die Hudson River Bridge, welche sehr beeindruckend war! Sehr mühsam waren dagegen die letzten 5 Meilen zum Shelter. Oder besser gesagt, Pavillon. Es gab sogar eine Dusche, die zwar kalt war, aber bei den Temperaturen eine willkommene Abkühlung. Goose und Co. kamen erst im Dunkeln an, weil sich soviel Müll auf dem Trail befand und ganze 37 Pfund aufsammelten.
Weil für heute Gewitter angekündigt waren, bin ich schon kurz nach 6 Uhr losgegangen, um am frühen Nachmittag anzukommen. An einer Stelle war die Ausschilderung des Trails so schlecht, dass ich 20 Minuten planlos durch die Gegend lief und nach einem Wegweiser suchte. Ansonsten war es wettertechnisch viel angenehmer als die letzten Tage. Und auch das Terrain war einfacher, sodass ich ohne Pausen einzulegen schon 13:30 Uhr am RPH Shelter ankam. Es war quasi ein Haus mit offener Rückseite und hölzernen Doppelstockbetten. Das beste war, dass man Pizza liefern lassen kann, was wir gleich mal in Anspruch genommen haben. Übrigens hab ich mir den Stress mit dem Wetter ganz umsonst gemacht. Denn außer einem kräftigen Regenschauer am Abend ist nichts gewesen. Aber das kann man vorher nie wissen.
Ziemlich spontan entschied ich mich dazu, einen Zero-Day einzulegen. Denn wie es der Zufall so wollte, fanden heute Trail-Arbeiten statt und ich hatte somit die Möglichkeit, dem Trail etwas zurückzugeben. In den letzten Wochen ist mir soviel Trail-Magic widerfahren, dass ich mich einfach schlecht fühlen würde, wenn ich nicht wenigstens etwas für den Trail, bzw. dessen Community tun würde. Insgesamt waren wir ca. 15 Leute, die an verschiedenen Projekten arbeiteten. Eines davon war, ein ca. 50 m langes Teilstück des Trails auszubessern, das aus Brettern bestand. Das wird üblicherweise gemacht, wenn ein Gebiet dazu neigt, unter Wasser zu stehen, nachdem es geregnet hat. Dazu musste zuerst ein umgefallener Baum zersägt und die Rinde entfernt werden. Die verrotteten Baumstämme, die die Auflagefläche für die Bretter bildeten, wurden durch die frischen ausgetauscht. Weil die alten Stämme deutlich kleiner waren, vergrößerten wir die Löcher, in die sie eingesenkt wurden. Alles in allem eine sehr schweißtreibende Arbeit. Aber es hat auch viel Spaß gemacht. Auf jeden Fall weiß ich die Arbeit der freiwilligen Helfer, die den Trail instand halten, deutlich besser wertzuschätzen. Abends wurde der Grill angeschmissen und so ließen wir den Tag gemütlich ausklingen. Zudem gab es ein Wiedersehen mit einem alten Bekannten! Gelati traf nachmittags am Shelter ein und erzählte mir von den langen Tagen, die er einlegte, um zu mir aufzuschließen. Während er in dem Wahnsinnstempo weitermarschieren will, stand für mich fest, dass ich das letzte Drittel des Trails so sehr wie möglich genießen und mich nicht völlig verausgaben möchte. Deshalb war es höchstwahrscheinlich auch das letzte Mal, dass ich ihn gesehen hab. Denn er zog wenig später alleine weiter und will unbedingt bis zum 20. August am Ziel auf Mount Kathadin ankommen. Womit ich allerdings kein Problem hatte, denn es ist Zeit mal ein paar neue Leute kennenzulernen. So z.B. Tato, aus Finnland. Er ist ein wahnsinnig netter Zeitgenosse und ebenso ein begeisterter Weltenbummler und Wanderer. Ich verstand mich auf Anhieb mit ihm und werde ihn die nächsten Tage des Öfteren wiedertreffen, weil wir uns dieselben Shelter ausgeguckt haben.
Tato und ich starteten morgens gemeinsam und machten uns auf den Weg zum nahegelegenen Imbiss, um Frühstück zu essen. Während er etwas Vernünftiges bestellte, nämlich ein Sandwich, kaufte ich mir ein 1,5 L Behälter Eis. Wir waren gerade am Erzählen, als plötzlich “Not Swedish“ (ein Schweizer) hereinschneite. Ich hab ihn das letzte Mal vor fast 2000 km gesehen. Das war mal eine schöne Überraschung! Wir trafen ihn und seinen Wanderpartner am Nachmittag an einem wunderschönen See mit dem Namen “Nuclear Lake“ wieder. Ich kann die werten Leser aber beruhigen – die Strahlenbelastung kann nicht sehr hoch gewesen sein, weil wir nur ganz leicht im Dunkeln leuchteten. Eigentlich wollte ich heute mal wieder im Shelter schlafen und hatte auch schon alles ausgebreitet. Dann merkte ich jedoch, dass etwas mit den einem Section-Hiker nicht in Ordnung war. Der Typ war total high und getrunken hat er auch fleißig. Ich hab ihn eh schon ein bisschen verarscht und weil ich nicht einschätzen konnte, ob er vielleicht aggressiv werden könnte, schleppte ich meine sieben Sachen Stück für Stück aus dem Shelter, damit unser werter Freund nichts davon mitkriegt. In diesem Sinne, gute Nacht!
Wie erwartet hat der Kerl es nicht geschafft, sein Zelt in dem Zustand aufzubauen. Stattdessen lag er mit weit gespreizten Armen und Beinen im Shelter und pennte. Nun, das dachte ich zumindest und zückte meine Kamera. Das hat er anscheinend gehört und guckte mich doof an. Die Amerikaner mögen ja bekanntlich unnützen Smalltalk, und so verwickelte ich ihn in ein kleines Gespräch, damit das Prinzesschen gar nicht erst auf die Idee kam, komisch zu reagieren. Wie gestern schon, gingen Tato und ich zum Frühstück zu einem Imbissladen. Wir hielten uns aber nur kurz auf, weil wir noch 30 Kilometer vor uns hatten. Wir hatten viele interessante Gespräche und es machte echt Spaß mit ihm zu wandern. Der Tag verging wie im Flug, und nebenbei passierten wir auch die New York/Conneticut-Grenze. Mein Fazit zu NY fällt durchweg positiv aus, auch wenn es teilweise extrem anstrengend war. Dafür war es landschaftlich umso schöner. Jetzt liegen noch 5 der insgesamt 14 Staaten vor uns. Hoffentlich setzt sich der Positiv-Trend weiterhin fort. Man darf gespannt sein.