Vom Shelter aus waren es nur 2 Meilen in die Stadt, wo wir gemütlich gefrühstückt haben. Seit ein anderer Wanderer gestern Abend das Wort “Steak“ erwähnte, spürte ich das unstillbare Verlangen, eines zu essen. Da spielte es dann auch keine Rolle, dass es erst 8 Uhr war. Als ich ein Gericht mit Steak und Pommes auf der Speisekarte sah, musste ich es einfach bestellen. Mann, war das gut! Das erste Steak seit 3 Monaten! Nachdem wir gesättigt waren, gingen wir zum örtlichen Supermarkt, der nicht nur ein erstaunlich großes Angebot, sondern auch vernünftige Preise hatte. Die Resupply-Situation ist in den letzten beiden Wochen nämlich ziemlich katastrophal gewesen. Sprich unheimlich teuer und man bekam nicht alles, was man wollte. Auf dem Weg zum Outfitter, wo wir das WiFi nutzen wollten, gingen wir noch zum Campingplatz der Stadt. In den Hiker-Boxen fanden wir viel nützliches Zeug und reichlich zu essen. Außerdem verabschiedeten wir uns von einem Section-Hiker, den wir sehr oft gesehen haben. Auch er gab uns Essen, welches er nicht mehr benötigte. Im Outfitter schrieb ich mit meinem alten Kumpel Marc aus der Ausbildung. Dank ihm sind jetzt die ganzen Spam-Kommentare auf der Webseite verschwunden. Tausend Dank dafür :-)  Erst gegen 12 Uhr machten wir uns wieder auf die Socken. Denn bis spätestens 17 Uhr musste ich in Cornwall Bridge sein, das 20 km entfernt war. Zum Glück war das Terrain bis auf 2 fiese Berge recht flach, sodass ich ordentlich Tempo machen konnte und kurz vor dem Schließen der Poststelle ankam. Freudig packte ich das Paket aus und musste feststellen, dass der neue Regenschirm die falsche Farbe hatte. Normalerweise wäre mir die Farbe egal, allerdings wollte ich die silberne Version mit Reflektionsschicht gegen die Sonne. Schatten spendet dieser Schirm aber auch, von daher ist es nicht so wild :-) Wir gingen anschließend nur noch 3 Meilen zum nächsten Campingplatz. Dort wollte ich mir das dehydrierte Fertiggericht mit dem vielversprechenden Namen “Cheese Pizza“ zubereiten. Normalerweise kippt man nur heißes Wasser in die Plastikbehälter, wartet 10 Minuten und kann anschließend die Mahlzeit genießen. Stattdessen handelte es sich hierbei um ein Gericht, wo man tatsächlich ein Teig zubereiten und in einer Pfanne braten musste, um danach die anderen Zutaten darauf auszubreiten. Den Aufwand wollte und konnte ich mir nicht machen. Drum kippte ich alles zusammen in den Behälter, gab kochendes Wasser dazu und ließ es einen Augenblick stehen. Das Ergebnis war gelinde gesagt ekelhaft. Auch Tato’s Chilisauce konnte es nicht schmackhafter machen. Sowas furchtbares hab ich das letzte Mal in der Mittagskantine gegessen, zu der wir immer von der Arbeit aus hingingen. Nach ein paar Bissen war mir der Hunger endgültig vergangen. Aber immerhin hatten wir so ordentlich was zu lachen.

Ich bin morgens vom Regen wach geworden, der auf das Tarp prasselte. Als es nach einer Stunde wieder aufhörte und die Sonne rauskam, wurde es sehr schwül, was uns deutlich ausbremste. Unser Plan, in einem kleinen Dorf Rast zu machen, wurde durch eine Umleitung zunichte gemacht. Stattdessen gingen wir fast 4 Meilen auf der Straße. Wir aßen unser Mittag vor der Kirche, als plötzlich ein Motor aufheulte. Wie ein kleines Kind rannte ich in die Richtung, wo der Krach herkam. Gegenüber war eine Rennstrecke, auf der ein Rennwagen seine Runden drehte. Ich stand eine ganze Weile am Zaun, guckte gespannt zu und dachte mir, wie genial es sein würde, selbst am Steuer zu sitzen. Die Landschaft war heute übrigens wieder zum Zunge schnalzen. Ursprünglich wollten wir nur kurz in Salisbury stoppen, um Snacks zu kaufen, und danach zum nächsten Shelter gehen. Gegen eine Übernachtung in der Stadt hatten wir jedoch beide nichts. Also kam wieder Trick 17 zum Einsatz – am Stadteingang winkte uns eine Frau zu, woraufhin ich zum Zaun des Grundstücks ging und fragte, ob man irgendwo campen kann, ohne Ärger mit der Polizei zu kriegen. Erst bot sie uns ihren Garten an, bevor sie meinte, dass wir ebenso gut im Haus schlafen können. Wir versprachen ihr, dass wir keine Serienmörder sind und auch nichts stehlen werden. Kurz darauf fuhr sie zu einer Party nach New York und überließ uns einfach so ihr Haus. Wir konnten unser Glück kaum fassen und freuten uns wie kleine Kinder. Da wir den Ofen, sowie alle anderen Geräte, inklusive MacBook, benutzen durften, bereiteten wir uns ein wahres Festmahl zu. Jeder von uns hatte eine große Pizza, wobei Tato mir noch das letzte Viertel abgab. Ich verputze obendrein eine Tüte Pommes. Und als Nachspeise gab es lecker Schokoladeneis. Dank meiner fehlenden Disziplin, übertrieb ich es mal wieder maßlos und bekam ziemlich heftige Bauchschmerzen von dem vielen Essen.

Zum Frühstück hat uns Tato Rührei mit Bohnen gemacht. Weil die 10 Eier aber nicht reichten, nahm ich mir die Cornflakes vor und aß die Hälfte der Packung. Abgerundet wurde das ganze durch eine Dose Pfirsiche. Wir ließen uns sehr viel Zeit und hofften, dass Athena, unsere Gastgeberin noch rechtzeitig wiederkommen würde, bevor wir wieder losgehen müssen. Als sie 10:30 Uhr immer noch nicht zurück war, konnten wir nicht länger warten und hinterließen ihr eine Nachricht, in der wir uns für diese unglaublich tolle Trail-Magic bedankten. Nach ein paar Minuten auf dem Trail erreichten wir einen großen Meilenstein: 1500 Meilen seit dem Start auf Springer Mountain sind geschafft! Das war schon ein komisches Gefühl, denn so langsam realisieren wir, dass das Ziel nicht mehr allzu weit entfernt ist. Ungefähr 7 Wochen wird die Reise noch dauern. Und ich bin sehr froh, endlich verstanden zu haben, dass es nicht darum geht, den Trail in einer bestimmten Zeit zu absolvieren, sondern es möglichst zu genießen. Diesen Wandel haben viele angehende Thru-Hiker durchgemacht. Nur noch wenige haben den sportlichen Wettkampfgedanken, den Trail in einer  bestimmten Zeit zu schaffen. Lange Zeit gehörte ich zu diesen Spezies. Heute schüttel ich nur noch mit dem Kopf, wenn jemand erzählt, er will nach exakt 4 Monaten fertig sein, um danach mit dieser Leistung anzugeben. Als ob uns die Natur für das Durchhalten belohnen wollte, wurden wir mit den tollsten Landschaften verwöhnt. Es gab so viele gute Foto-Motive, dass ich kaum vom Fleck kam. Selbst der Campingplatz, auf dem wir unsere Zelte aufschlugen, war absolut herrlich. Am Abend saßen wir mit ein paar anderen Hikern am Lagerfeuer und ließen den Tag ausklingen. Einer von ihnen hatte sich heute Morgen einen Käse gekauft und biss nun voller Vorfreude in sein Brot, dass er damit belegt hatte. Ein Fluch folgte dem nächsten! So zum Beispiel, dass der Käse nach Plumpsklo schmeckt. Wir saßen nur daneben und haben uns schief und krumm gelacht.

Die Nacht war die erste seit langer Zeit, in der es richtig kühl wurde. Was sehr angenehm war, nachdem wir die letzten 2 Monate so sehr geschwitzt haben. Am späten Vormittag mussten wir unsere Wasserflaschen auffüllen. An sich ist das nicht weiter spannend. Weil wir aber klugerweise den letzten Fluss ignorierten, um erst kurz vor dem anstehenden Berg Wasser zu tanken, musste ich jetzt einen steilen Abhang zu einem Modderloch runterklettern. Kurz bevor ich unten war, rutsche ich aus und landete mit dem rechten Schuh im Matsch und versank knöcheltief. Um aus dem Schlamassel wieder rauszukommen, machte ich einen großen Schritt auf die andere Seite des Mini-Flusses. Blöderweise war der Untergrund genauso weich, weshalb ich nun mit beiden Beinen im Schlamm stand. Bei dem Versuch dort wieder rauszukommen, verlor ich beinahe die Balance und einen Schuh. Nachdem ich unsere Wasserflaschen aufgefüllt hatte, stand ich nun vor der Aufgabe, aus dem Schlammloch rauszuklettern. Tato wollte mir meine Trekkingstöcke zuwerfen, um es mir einfacher zu machen. Der erste landete vor mir im Matsch. “Nicht so schlimm“ dachte ich mir, “dann benutze ich den zweiten Stock, um ihn rauszufischen“. Keine Ahnung ob es Absicht war oder ob Tato einfach ein nervöses Händchen hat. Denn der zweite Wurf war noch mieser als der erste und der Trekkingstock landete noch weiter entfernt im Matsch. Wir kamen aus dem Lachen gar nicht mehr raus. Zu schade, dass wir kein Video davon haben. Und das beste war, dass wir kurze Zeit später ein Schild sahen, dass vor dem Trinken des Wassers wegen Chemikalien warnt. Also war der ganze Aufwand für die Katz! Um kein Risiko mit dem Wasser einzugehen, ging ich eine Straße entlang, auf der Suche nach jemandem, den ich um trinkbares Wasser bitten konnte. Gesagt, getan und schon ging’s weiter. Meine Vorhersage, dass ich Goose und Co. nach 5 Tagen wieder einholen werde, traf exakt zu. Wir trafen sie bei der Mittagspause bei einem Shelter. Außerdem sah ich die ersten Thru-Hiker, die von Norden nach Süden wandern. Allerdings haben sie bereits große Teile übersprungen, weil es ihnen zu schwer war… Sie warnten uns vor einem Bienennest, dass wir morgen passieren werden. Man kann allerdings den Umweg über die Straße nehmen. Da ich nicht weiß, ob ich immer noch allergisch auf Bienenstiche reagiere, werden wir das definitiv machen. Denn wie sie uns sagten, ist es unmöglich, unbeschadet davon zukommen. Das Nest befindet sich direkt unter einem Brett, auf das man unweigerlich drauftritt, wenn man nicht gerade durch Sumpfgebiet waten will. Auf den letzten Meilen wanderten wir mit “Not Swedish“, der zu uns aufschloss. An einem See, der gerade einmal knietief war, ging ich wortwörtlich samt Schuhen ins Wasser, um mich zu waschen. Mit den Schuhen deshalb, weil ich mir nicht die Füße an scharfen Steinen oder ähnlichem aufschlitzen wollte. Als wir nach einem langen Tag am Shelter ankamen, las ich im Trail-Logbuch (jedes Shelter hat eines), dass sich dort vor 2 Tagen ein Bär rumtrieb, der keine Angst vor Menschen hat. Was wiederum ziemlich gefährlich werden kann. Wenn der Bär regelmäßig ins Camp kommt, wird er zum Problem-Bär und bald darauf umgesiedelt oder erschossen. Der nächste Campingplatz war allerdings zu weit entfernt, um noch im Hellen ankommen. Und auf Nacht-Wandern hatten wir auch keine Lust. Darum schlugen wir unsere Zelte direkt nebeneinander auf und hofften auf eine friedliche Nacht. Ich hatte mein Tarp gerade aufgebaut, da sah ich einen großen abgestorbenen Ast direkt darüber hängen. Er war zwischen 2 Astgabeln eingeklemmt und gefiel mir gar nicht. Nach mehrmaligen Schütteln und Rütteln an den tragenden Bäumen, war ich schließlich überzeugt, dass er mindestens noch eine Nacht dort oben bleibt.

Ungefähr 4:30 Uhr wurde ich von ein paar Streifenhörnchen wach, die um mein Tarp flitzten. Tato schwor, einen Bären unweit unseres Camps gehört zu haben. Wahrscheinlich hatte er damit sogar recht. Denn keine 5 m vom Shelter entfernt, sahen wir einen Bärenhaufen, der gestern noch nicht da war. Als ich meinen Rucksack fertig machte, um loszuwandern, fühlte ich etwas, das dort nicht reingehört. Tato hat in einem Augenblick der Unaufmerksamkeit einen großen Stein in den Rucksack gelegt. Diese Finnen – von außen sehen sie ganz friedlich aus, und in ihren tiefsten Inneren sind sie abgrundtief böse. *Augenzwinker* Die Bienen haben wir übrigens elegant links liegen lassen, indem wir den Umweg durch eine kleine Stadt genommen haben. Alle anderen Wanderer, die wir trafen und auf dem Trail blieben, wurden mehrfach gestochen. Kurz nach 15 Uhr kamen wir schon an der “Upper Goose Pond Cabin“ an, die uns wärmstens empfohlen wurde. Ein wirklich gemütliches Plätzchen mit See direkt vor der Haustür. Die Gelegenheit packte ich natürlich beim Schopf, schwamm eine gute halbe Stunde im erfrischenden kühlen Nass und genoss das schöne Wetter und die Landschaft um mich herum. Danach saß ich eine ganze Weile am See und nutzte die Zeit, endlich mal Tagebuch zu schreiben. Je weiter sich der Tag dem Ende neigte, desto voller wurde das Haus. Ungefähr 15 Leute kamen an, die in einem erstaunlich gut durchlüfteten Raum eines der vielen Betten aussuchen konnten.

Zum Frühstück bereitete uns der Herr des Hauses Pfannkuchen und Kaffee zu. Mit vollem Magen machten wir uns auf den Weg und wurden schon bald von einem Gewitter mit heftigem Regen überrascht. Zum Glück hatte ich meinen Regenschirm, ansonsten wäre ich bis auf die Knochen durchgeweicht gewesen. Der Schauer war jedoch nur von kurzer Dauer und wir machten einen kleinen Abstecher zu der “Cookie Lady“, wo es frisch gebackene Kekse und gekochte Eier gab. Die schmeckten so gut, dass ich gleich 6 von ihnen aß. Der Rest des insgesamt 20 Meilen langen Tages war sehr einfach, weil flach. Drum kamen wir ziemlich früh in Dalton an, wo wir direkt von einem Trail-Angel begrüßt wurden, der uns kalte Drinks und was zu essen gab. Zudem warnte er uns vor dem Herrn, auf dessen Grundstück wir campen wollten. Er lässt die Hiker seit mehr als 30 Jahren in seinem Garten übernachten. In der Zeit ereigneten sich einige unangenehme Sachen, über die jedoch keiner genaueres weiß oder sprechen will, außer dass der Typ auf junge Männer steht. Deshalb wurde uns dringend geraten, stets zusammen zu bleiben. Mit einem unguten Gefühl gingen wir ihn besuchen und baten um Erlaubnis, unser Zelt aufschlagen zu können, was er uns unter der Auflage verschiedenster Regeln schließlich gestattete. Er fuhr uns sogar zum Supermarkt, wo wir uns Proviant für morgen kauften. Danach ging’s zum Country Buffet. Endlich mal ein nicht-chinesiches “All you can eat“ Buffet. Die Kundschaft scheint dort oft zu essen. Ungefähr 80% der Leute waren stark übergewichtig. Nach einer Stunde Dauer-Futtern riefen wir unseren Gastgeber an, der uns freundlicherweise kurz darauf abholte. Er bot uns an, morgen früh gemeinsam in einem beliebten Restaurant zu frühstücken, was wir jedoch dankend ablehnten. Gerade als ich mich zum pennen hinlegte, hörte ich ein lautes Donnern. Glücklicherweise blieb es dabei und ich konnte getrost schlafen. Sicherheitshalber verdeckte ich jedoch den Eingang meines Tarps mit dem Regenschirm, um gegen etwaige neugierige Blicke geschützt zu sein.

Ich aß gerade meine 1,5 kg Nudeln mit Fleischbällchen zum Frühstück, als plötzlich unser Gastgeber vor meinem Tarp auftachte und fragte, ob wir mit ihm im Haus essen möchten. Da Tato bereits eingewilligt hatte, konnte ich ihn nicht alleine lassen und sagte ebenfalls zu. Im Fernsehen lief der Wetterbericht, der vor der Hitze und zum Teil heftigen Gewittern warnte. Na klasse, ausgerechnet heute musste wir einen recht hohen Berg raufklettern. Der Anstieg war brutal, da die Luftfeuchtigkeit 100% betrug und uns der Schweiß nur so runterlief. Später war es nur noch heiß, was allerdings deutlich angenehmer war. Zum Mittag legten wir eine größere Pause an einer Tankstelle ein, bevor wir uns zum nächstgelegenen Shelter aufmachten. Sollte das Wetter verrückt spielen, würden wir einfach einen kürzeren Tag einlegen. Nach einem langen Anstieg kamen wir dort an, tankten neue Kräfte, erzählten eine Weile mit einem Section-Hiker-Pärchen und brachen schließlich wieder auf. Der Himmel war strahlend blau, was wir unbedingt ausnutzen wollten. Das Highlight des Tages war das Erklimmen des höchsten Berges in Massachusett. Wir kamen gerade rechtzeitig an, denn schon eine viertel Stunde nach unserem Eintreffen sahen wir dunkle Wolken aufziehen und bald darauf das erste Donnergrollen. Ich drängte Tato dazu, möglichst bald den Abstieg zum Shelter in Angriff zu nehmen, da ich mich sehr ungern auf dem höchsten Punkt der Gegend während eines Gewitters aufhalten möchte. Kurz nachdem wir das Shelter erreichten, setzte ein kräftiger Regen ein und das Gewitter zog direkt über uns hinweg. Ein Glück haben wir ein Schlafplatz abgekriegt. In dem Regen das Tarp aufzubauen macht nämlich überhaupt keinen Spaß. Uuuund ich hab endlich die ersten richtigen Southbounders getroffen, die ihren AT auf Mount Katahdin begonnen haben. Sie schwärmten total von New Hamshire und Maine! In ca. 2 Wochen werden wir uns dann unser eigenes Urteil bilden können :-)

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