Die letzten Tage haben wir uns die Distanzen so zurechtgelegt, dass wir heute nur 3 Meilen bis zur Straße laufen mussten, die nach Williamstown führt. Schon nach kurzem Warten nahm uns jemand mit und setzte uns direkt vor der Post ab. Tato hat sich schon die ganze letzte Woche auf seine neuen Schuhe gefreut. Als er das Paket dann abholen wollte, musste er leider feststellen, dass es nicht angekommen ist. Am Telefon erklärte man ihm, dass es irgendein Problem mit seiner Kreditkarte gab. Mit den alten Schuhen wollte er jedoch nicht weiterlaufen und kaufte sich ein Paar Trailrunner im Outfitter. In der Bibliothek hatte ich endlich mal die Zeit und Ruhe, meine Webseite zu reparieren, auf der seit dem letzten Update einige Dinge nicht mehr funktionierten. Mit knurrendem Magen machten wir uns anschließend auf den Weg in eine Pizzeria. Beim Bezahlen gab es dann eine böse Überraschung: meine Kreditkarte wurde nicht akzeptiert und Bargeld hatte ich auch nicht dabei. Tato war so gut, mir das Geld auszulegen – andernfalls hätte ich ziemlich doof aus der Wäsche geguckt. Da es nur eine Meile zum Trail war, gingen wir die Strecke unter der prallen Sonne bei geschätzten 40°C. Als wir wieder in den Wald kamen, war es zwar deutlich kühler, dafür mussten wir aber einen Berg hochsteigen. Als ich oben ankam, war ich fix und fertig. Das einzige was mich auf den Beinen hielt, waren die Elektrolyt-Kapseln, die ich für solche Situationen gekauft hab. Ein paar Meilen später erreichten wir die Grenze von Vermont: Staat Nr. 12 von insgesamt 14. Das war schon ein komisches Gefühl. Als ich mir damals in Damaskus den Vater/Tochter-Vortrag über ihren Thru-Hike angehört hab, und sie von Vermont sprachen, schien es so weit weg zu sein. Und nun standen wir hier und freuten uns wie Bolle. Am Shelter trafen wir 2 Wanderer, die heute ihren ersten Tag auf dem 274 Meilen langen “Long Trail“ hatten, der bis Kanada führt. Es war ganz lustig, die frischen Hiker zu sehen, da sie einen an die eigene Anfangszeit erinnerten.

Nachts halb 12 wurde ich durch ein behäbiges, recht lautes Stapfen wach. Dieses UBO (unbekanntes Bodenobjekt) kam beunruhigend nahe. Da ich keine Lust auf eine Konfrontation mit einem Bären in meinem Tarp hatte, zog ich die Schuhe an und suchte mit der Stirnlampe die Gegend ab. Was auch immer da umherspazierte, es war nicht zu sehen und kam auch nicht wieder. Tagsüber hatten wir mit den unzähligen Schlammpfützen eine Menge Spaß. Im Matsch lagen Steine, die man nutzen musste, um von einem Ende des Modderlochs zum anderen zu gelangen. Ab und zu rutschte einer von uns aus und versank knöcheltief in der Pampe. Wir haben uns vor Lachen fast in die Hose gemacht. Wer noch die japanische Kultshow “Takeshi’s Castle“ kennt, dem fällt sicher die Ähnlichkeit zu einem der Spiele auf. Das einzige was auf dem Trail fehlte, waren die Stein-Atrappen, die versinken, sobald man auf sie drauf tritt. Also schnappte ich mir einen flachen Stein und plazierte ihn über einer möglichst tiefen Stelle. Gerade als das teuflische Werk vollbracht war, kam schon der erste Sobo (Hiker, der nach Süden geht) des Weges. Es war schwer, unser dämliches Gelächter zu verbergen, als wir ihn schon vor unserem inneren Auge in den Matsch treten sahen. Den Gefallen tat er uns leider nicht, aber dafür kamen uns noch viele andere Wanderer entgegen, die die Stelle ebenfalls passieren mussten. Genau zur richtigen Zeit, nämlich vor einem 16 km langen Anstieg, hat ein Trail-Angel ein Picknicktisch mit Früchten und Getränken aufgebaut. Nach der Erfrischungspause fiel das Wandern gleich viel leichter. Wieder mal wurde es genau dann dunkel über unseren Köpfen, als wir uns kurz vor dem Gipfel befanden. Und damit meine ich auch richtig dunkel – so als ob es kurz vor 21 Uhr wäre. Im Eiltempo ging ich den Berg runter, um in tiefer gelegenes Gelände zu kommen. Glücklicherweise regnete es nur und ein Gewitter blieb uns erspart. Ich ergatterte den letzten Platz im Shelter, das zum größten Teil mit Long Trail Hikern besetzt war. Das kann die nächsten Tage noch lustig werden, denn gute Stellen, um das Zelt aufzubauen, sind hier in Vermont rar.

Da der Trail nicht viele natürliche Aussichtspunkte bietet, muss man halt die Aussichtstürme hochklettern. Davon gab es heute gleich zwei. Einer von ihnen stand auf dem Berg, wo Benton MacKaye einst die Idee des Appalachian Trails in den Sinn kam. Von dem originalen Trail ist jedoch nur noch 1% übrig, da es jährlich ein paar kleine Änderungen an der Wegführung gibt. Spontan entschieden wir uns, ein paar extra Meilen einzulegen, um morgen mehr Zeit in der Stadt zu haben. Wir gingen insgesamt fast 12 Stunden. Bei den jetzigen kühleren Temperaturen waren wir jedoch wesentlich fitter, als nach einem kürzerem, dafür heißen Tag. Bis auf ein junges Pärchen das zeltete, waren wir alleine im Shelter. Es lag knappe 800 m abseits des Trails, was wohl viele Wanderer abschreckt.

Gleich zu Beginn des Tages gab es eine schöne Überraschung: wir gingen gerade eine Waldstraße entlang, als plötzlich ein Bär aus dem Wald kam, uns blöd anguckte, und dann ganz schnell wieder verschwand. Am Highway angekommen, haben wir den bisher schnellsten Hitch in eine Stadt bekommen. Tato hatte seinen Daumen noch gar nicht ganz oben, da hielt schon ein Pickup-Truck an und nahm uns mit. Er setzte uns bei einem super Restaurant ab, wo ich einen köstlichen Burger und Milchshake verspeiste. Beim örtlichen Outfitter konnte ich leider nichts erreichen. Weder bekam ich neue Socken, noch konnte man mir mit meinen Trekkingstöcken helfen, die sich nicht mehr zusammenklappen lassen. Im Supermarkt traf ich Spice von den Packingitout Jungs wieder. Er hat sich von den anderen beiden getrennt und wandert jetzt mit Starcrunch. Schade, dass sich sie den Trail nicht als Gruppe beenden werden. Aber das ist nur ein weiteres Beispiel dafür, dass sich alles ganz schnell ändern kann und man sich dementsprechend anpassen muss. Um eine Mitfahrgelegenheit zurück zum Trail zu finden, standen wir eine halbe Ewigkeit am Straßenrand. Eine verrückte alte Lady nahm uns schließlich mit und stellte uns ihre lustigen Lieder vor, zu denen sie voller Elan performte. Tato war leicht peinlich berührt, als sie ein Lied abspielte, dass davon handelte, dass eine Frau gerne mehr Vorbau hätte und die alte Lady dazu eindeutige Dance-Moves einlegte. Ich hab nur auf der Rückbank gesessen und mich schlapp gelacht.

Mein 100. Tag auf dem Trail! Verrückt, wie schnell die Zeit vergeht. Viel ist seitdem passiert! Ich bin total dreckig, stinke meilenweit und fühl mich pudelwohl. Das ist wohl eine ziemlich zutreffende Beschreibung :D Bei einem wunderschönen See legten wir eine große Mittagspause ein und genossen den Moment. Was schon in Spanien viel praktiziert wurde, sahen wir auch heute auf dem AT. Viele fleißige Hände bauten mit der Zeit aberhunderte Steinskulpturen auf dem Gipfel eines Berges. Auch landschaftlich hatte der Trail einiges zu bieten, weshalb ich nur recht langsam vorankam, weil ich so viele Bilder machte. Nicht so schön war das Gewitter, welches genau dann losging, als wir nur noch ca. 10 Minuten vom Gipfel entfernt waren. Diesmal hatten wir jedoch mit dem Wind Glück, der es in die entgegengesetzte Richtung blies. Andernfalls wäre das ziemlich angsteinflößend geworden. Das Shelter war danach nicht mehr weit und zu unser freudigen Überraschung komplett leer. Einzig ein verrücktes Nagetier knabberte die ganze Nacht lang am Dach und verursachte einen ziemlichen Lärm. Um nicht von den Mücken bei lebendigem Leibe aufgefressen zu werden, baute ich mein Moskitonetz im Shelter auf. Tato, der sich sonst nicht viel aus den Blutsaugern macht, borgte sich ebenfalls mein Moskitonetz für den Kopf, um wenigstens etwas Schlaf zu bekommen.

Das Highlight war heute das Besteigen des Killington Peaks, von dem meine eine spektakuläre Aussicht hat. Wir holten gerade unsere Snacks aus dem Rucksack, als wir ein paar Dayhiker sagen hörten: “Wer will Vitamin I (Ibuprofen)? Ich hab 600 mg für jeden von euch mitgebracht.“ Wir haben uns nur angeguckt und laut angefangen zu lachen. So anstrengend der Tag auch insgesamt war, als wir in Stadt kamen und im Hiker Hostel eincheckten, war alles vergessen. Wir freuten uns, endlich einen Ruhetag einzulegen und einfach mal gar nichts zu machen und nur zu entspannen. Nachdem wir geduscht haben, nahmen wir am gemeinsamen Abendessen der kirchlichen Gesellschaft teil. Da sie all die Nahrungsmittel auf ihrer Farm erzeugen, kriegten wir zur Abwechslung mal “richtiges“ Essen zwischen die Zähne. Den Unterschied hat man deutlich geschmeckt!

Das (kostenfreie) Frühstück war absolut spitze. Genauso wie das Sandwich, welches ich mir im hauseigenen Restaurant bestellte. Selbst ein Outfitter betrieben die Leute der spirituellen Gesellschaft namens “Twelve Tribes“. Anfangs waren wir zugegebenermaßen etwas skeptisch, weil es an einen Kult erinnert. Sie ließen die Hiker jedoch in Ruhe und fragten lediglich, ob jemand mit auf die Farm fahren möchte, um dort zu helfen. Viel hab ich heute nicht getan – ausruhen stand ganz groß auf der Tagesordnung. U.a. hab ich das Rückflugdatum umgebucht. Neuer Termin ist der 31. August. Bei einem Tagesdurchschnitt von 16 Meilen würden wir am 26. August Mount Katahdin besteigen. Also haben wir noch etwa 3 Tage Puffer. Abends gingen wir mit dem jungen Briten Samwise in ein Chinarestaurant. Wir waren die einzigen Gäste und trotzdem hatten wir keine freie Platzwahl. Auch ansonsten war unser Kellner, der gleichzeitig auch der Koch war, ein wenig komisch drauf. Er neigte dazu, alles kontrollieren zu wollen und man Angst haben musste, dass er zuschlägt, wenn ihn etwas nicht passt. Ok, das war stark übertrieben :-) Wir hatten jedenfalls unseren Spaß, auch wenn die Atmosphäre alles andere als einladend war. Morgen geht es wieder auf den Trail und es dauert nicht mehr lange, dann erreichen wir die “Whites“, die besonders schön sein sollen.

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