Trail-Angel Tom brachte uns morgens um 8 Uhr zurück zum Trail, nachdem wir uns beim gemeinsamen Frühstück den Bauch vollgeschlagen haben. Nach dem Ruhetag fühlten wir uns viel frischer und die 20 Meilen vergingen wie im Flug. Ein Glück hat sich der Wetterbericht mal wieder geirrt und es blieb den ganzen Tag über sonnig. Eine Stunde vor dem Shelter kamen wir an einem leerem Haus mit Aussichtsplattform vorbei, in dem man sogar hätte übernachten können. Der einzige Haken war das fehlende Wasser. Also entschieden wir uns für das Shelter, wo ein ziemlich heruntergekommener Typ sein Lager aufgeschlagen hatte. Da ich ihm nicht traute, bevorzugte ich lieber mein Tarp. Er ist jedenfalls ein Thru-Hiker und nach eigener Aussage schon im Januar gestartet. Meine größte Sorge war jedoch mein Knie, welches seit ein paar Tagen rumzickt und keine Anstalten macht, sich zu bessern. Hoffentlich krieg ich das in den Griff. Schließlich liegt noch fast die komplette Strecke eines Jakobsweges vor uns!

Bull, ein Wanderer, den wir in den letzten Tagen des Öfteren sahen, hat sich heute Morgen gleich 2x verlaufen. Erst hat er nicht aus dem Camp gefunden und ist stattdessen in eine Sackgasse gelaufen, und als er den Trail dann gefunden hatte, schlug er die falsche Richtung ein. Erst als er einem bekannten Hiker entgegenkam, bemerkte er seinen Fehler. Meine Hoffnung, dass es jetzt mal kühler wird, da wir uns schon sehr weit nördlich befinden, zerplatzte wie eine Blase mit dem erneuten Ansteigen der Temperaturen. Ich kann es kaum noch erwarten, in ein paar Tagen endlich meine Shorts anzuziehen. Die warten, zusammen mit den warmen Sachen, in Glencliff. Direkt danach geht es in luftige Höhen und die Zeckengefahr ist vorüber. Jedenfalls habe ich keinen SoBo getroffen, der eine Zecke hatte. Nach einem Gespräch mit einem anderen Wanderer gestern Abend, war ich mir ziemlich sicher, dass die Schuhe die Ursache für die Knieschmerzen sind. Sie haben mittlerweile 700 Meilen durchgehalten. Von außen sehen sie noch top aus, aber das Fußbett ist mit der Zeit platt geworden. Drum versuchte ich bei REI ein neues Paar für lau zu kriegen. Anscheinend hab ich nicht den richtigen Grund für eine Reklamation angegeben, denn die gute Dame am Telefon bot mir nur an, ein neues Paar zu kaufen. Und das Modell, welches ich wollte, haben sie nicht mehr im Angebot. Dann muss ich eben warten, bis ich wieder WLAN hab und das Internetz durchstöbern kann. Tato hatte sich schon den ganzen Tag auf den kleinen Tante-Emma-Laden gefreut, wo er sich ein Eis kaufen wollte. Dummerweise hat er nur an 3 Tagen in der Woche geöffnet und wir standen vor verschlossener Tür. Dafür begrüßte uns ein Trail-Angel mit Knabberzeug und kalten Getränken. Am späten Nachmittag gab es eine zweite Runde Trail-Magic. Wir gingen gerade über eine Brücke in einer kleinen Ortschaft, als wir zu einem Haus herübergewunken wurden. Der rüstige Rentner Randy verbringt jeden Tag damit, auf der Terrasse zu sitzen, die Hiker mit kalten Getränken anzulocken und mit ihnen zu erzählen. Selbst WLAN stellte er zur Verfügung. Aber so wie es aussieht wird das Schuhmodel, welches ich trage, nicht mehr hergestellt. Morgen gehen wir in eine Stadt und haben mehr Zeit. Dann muss ich mir eine andere Lösung einfallen lassen. Die letzten Meilen zum Shelter waren ziemlich schmerzhaft. Das Knie fühlte sich überhaupt nicht gut an.

Der Weg in die Stadt war recht kurz. Erst durchkreuzten wir Norwich, wo an den Auffahrten der Einwohner gleich mehrere Kühlboxen mit Getränken standen. Das war wie das Paradies :-) Eine halbe Stunde später überschritten wir die Grenze von New Hampshire. Der vorletzte Staat! Der Trail führte uns kurz darauf nach Hanover, das für seine Freundlichkeit den Hikern gegenüber bekannt ist. Wir gingen in ein Restaurant, das uns empfohlen wurde, um mal richtig zu frühstücken. Ich bestellte mir einen großen Burger mit Pommes – sooo lecker! Als wir bezahlen wollten, sagte man uns, dass die Rechnung bereits beglichen ist. Wir vermuten, dass es die Familie war, mit der wir uns nur kurz unterhalten haben. Vielen Dank dafür, das war eine wirklich tolle Überraschung :-) In der Bibliothek nutzen wir das Internet und ich orderte das Schuhmodell, mit dem ich den Trail angefangen habe. Die haben zwar ein dummes Design-Problem, was sie schon nach 200 Meilen kaputt gehen lässt, aber ich weiß zumindest, dass ich mit ihnen keine Fuß- oder Knieprobleme haben werde. Und irgendwie werde ich es schon hinkriegen, dass sie die restlichen 400 Meilen ab Glencliff durchhalten werden. Außerdem hab ich mir in der Apotheke eine Kniebandage gekauft, die das Wandern deutlich schmerzfreier gestaltet. Das gibt Grund zur Freude und Hoffnung!

Der Wetterbericht für heute sagte: Nachmittags schwere Gewitter mit starkem Regen, Hagel und schadensverursachenden Winden. Deshalb legte ich einen Frühstart hin und war bereits 6 Uhr auf dem Trail. Das Terrain war sehr schwer. Alles war komplett nassgeschwitzt. Zum Glück war es nicht so heiß wie gestern, andernfalls wäre es nicht möglich gewesen, die knapp 18 Meilen bis 14 Uhr hinter mich zu bringen. Eine halbe Stunde nach der Ankunft fing das Gewitter an. Längst nicht so heftig wie angekündigt, aber das war mir nur recht. Und Tato sowieso, der eine Stunde später eintrudelte. Ebenso machte eine junge Thru-Hikerin beim Shelter halt. Sie ist erst Mitte Mai gestartet und hat uns bereits eingeholt. Sie ist eine ambitionierte Trail-Läuferin und von daher fällt es ihr recht leicht, die großen Distanzen tagtäglich zurückzulegen. Auch wenn ich heute sonst nicht viel gesehen hab, so hatte ich doch heute ein kleines Intermezzo mit einer Bärenmama und ihren 2 Kids. Ich hatte sie gar nicht bemerkt und hörte nur, wie sich etwas im Unterholz bewegte. Die beiden Bärenkinder sind einen Baum hochgeflitzt und die Mutter stand keine 10 m von mir entfernt und guckte mich mit großen Augen an. Das war mir eindeutig zu nah! Ich redete irgendwelches Zeug, in der Hoffnung, den Bär somit beruhigen zu können. Langsamen Schrittes entfernte ich mich, um nicht ihren Jagdinstinkt zu wecken. Hat geklappt! :-)

Auf ging es in die letzte Stadt vor den Whites. Wobei “Stadt“ deutlich übertrieben ist. Eigentlich gab es in Glencliff nur das Hiker Hostel. Dort hoffte ich 2 Pakete entgegen nehmen zu können. Die warmen Sachen, die seit den Great Smokey Mountains bei Kyle zwischenlagerten, waren auch angekommen. Die Schuhe jedoch leider nicht. Beim Online-Chat mit einem REI Mitarbeiter kam heraus, dass die Adresse zu lang war. Sehr schön, dann quäle ich meine Knie halt noch weitere 5 Tage. Und wehe, die schaffen es nicht, das Paket nach Gorham zu schicken. Da wir beide kein Essen mehr hatten, versuchten wir nach Warren zu trampen. Wir standen eine halbe Stunde ohne Erfolg am Straßenrand. Das Hostel machte erst in 2 Stunden eine Fahrt nach Warren. Zu gerne hätten wir sofort eine Pizza gegessen, aber das musste wohl oder übel warten. Als es endlich Zeit für den Shuttle-Service war, wurde alles auf einmal total kompliziert gemacht. Sowieso war die Stimmung im Hostel sehr unentspannt. Deshalb stand für uns auch fest, dass wir nach dem Resupply zum nächsten Shelter gehen, welches nur eine Meile entfernt lag. Der Hauptgrund für die anderen Wanderer, die sich für das Hostel entschieden, war zum größten Teil die Möglichkeit, morgen zu slackpacken (ohne schweren Rucksack zu wandern). Sie schienen es damit zu rechtfertigen, dass angeblich 85% der Hiker slackpacken. Für uns stand das jedenfalls nicht zur Debatte.

Heute Nacht träumte ich, dass ich kurz vor dem Ziel den AT verlassen hatte und zurück nach Hause flog. Ich fühlte mich so schlecht und wollte einfach nur zurück! Als ich dann aufwachte, streckte ich meine Faust in die Luft und freute mich, dass es nur ein Traum war. Gleich zu Beginn des Tages ging es steil bergauf zum Mount Moosilauke. Als wir die Baumgrenze überschritten, konnten wir dank der tiefhängenden Wolken überhaupt nichts sehen. Gerade als wir den Gipfel erreichten, verzogen sie sich und wir hatten einen atemberaubenden Panoramablick über all die Berge, die wir in den nächsten Tagen besteigen werden. Der Abstieg gestaltete sich sehr schwierig, weil es extrem steil war. Zurecht warnte man uns davor, bei Regen hinunter zu gehen. Im trockenen war es schon zum Teil ziemlich abenteuerlich. An den schwierigsten Stellen waren zum Glück Holzpfosten an der Steinwand befestigt, damit man einen sicheren Halt hat. Auf der zweiten Hälfte des Tages zog ein kleines Gewitter auf, welches jedoch genauso schnell verschwand, wie es aufgetaucht ist. Hier kann sich das Wetter tatsächlich alle 5 Minuten ändern. Vorher dachte ich stets, dass die Leute alle nur übertreiben. Den Abend verbrachte ich damit, mein geschwollenes Knie zu kühlen. Nach harten Tagen wie diesen merke ich sie immer besonders. Bis jetzt halten sie jedoch recht gut durch. Es ist jedenfalls bei weitem nicht so schlimm wie letztes Jahr auf dem Camino.

Als Warm-Up erklommen wir gleich zu Tagesbeginn den nächsten großen Berg. Als wir auf dem Gipfel saßen und die Aussicht genossen, gesellten sich ein paar Day-Hiker zu uns. Einer von ihnen war völlig von unserem Thru-Hike begeistert und bot uns an, bei ihm ein paar Tage zu verbringen, wenn wir unseren Trip beendet haben. Wenn wir früh genug ankommen und noch etwas Zeit bis zum Abreisedatum ist, nehm ich das Angebot nur allzu gerne wahr. Danach ging es bis zum Highway nach Lincoln nur bergab. Über eine halbe Stunde standen wir erfolglos an der Ausfahrt des Parkplatzes. Dann sah ich 2 ältere Herren mit einem großen Van und fragte sie, ob sie uns vielleicht in die Stadt fahren können. Sie sagten sofort zu und chauffierten uns direkt zu der Pizzeria. Nach der wohlverdienten Pizza gingen wir Proviant für die nächsten 5 Tage einkaufen. Der Essenssack war verdammt schwer, aber was muss, das muss! Anschließend gönnten wir uns noch ein Eis, bevor wir uns auf die Suche nach Chet machten. Er soll Hiker in seiner Garage schlafen lassen und ein wahnsinnig netter Typ sein. Jeder im Ort kannte ihn und von daher war er schnell gefunden. Er saß draußen vor der Garage im Rollstuhl und erzählte mit einem anderen Wanderer. Dass er überhaupt noch am Leben ist, ist ein wahres Wunder. Im Jahre 2001 hatte er einen schrecklichen Unfall mit seinem Gaskocher, der ohne Vorwarnung explodierte, als er ihn starten wollte. 40% seiner Haut verbrannte, ebenso große Teile seiner Lunge und Rachen. Insgesamt 8 Monate musste er im Krankenhaus bleiben. Die ersten davon wurde er ins künstliche Koma versetzt, weil die Schmerzen sonst zu stark gewesen wären. In der Zeit hatte er noch zahlreiche andere Krankheiten zu überwinden und wäre 8x beinahe gestorben. U.a. litt er an einer Viruserkrankung, die nur 3% aller Infizierten überleben. Von daher wurde er zurecht der “Wundermann“ genannt. Das schlimmste jedoch war, dass die Firma, die den Kocher herstellte, von dem Konstruktionsfehler wussten. Chet ist definitiv ein ganz besonderer Mensch und es war eine Ehre ihn kennenzulernen.

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