Mit ein paar anderen Thru-Hikern gingen wir morgens gemütlich Frühstücken. Da es schon recht spät war und für heute Nachmittag mal wieder Gewitter angesagt waren, entschieden wir uns für den Shuttle-Service, um möglichst schnell wieder zum Trail zu gelangen. Zunächst erwartete uns ein sehr langer Anstieg. Dann ging es für 2 Meilen oberhalb der Baumgrenze den Franconia Bergkamm entlang. Es war einfach atemberaubend und viel schöner, als alle bisherigen Aussichten. Wohl wissend, dass es heute ein Gewitter geben wird, behielt ich die Wolken am Horizont stets im Auge. Auf dem Gipfel legten wir eine größere Pause ein und machten ein paar tolle Bilder. Unsere Klamotten trockneten bei dem starken Wind innerhalb kürzester Zeit. Die letzten 4 Meilen beeilte ich mich ziemlich, um rechtzeitig zum Shelter zu kommen. Genau als ich ankam, war der erste Donner zu hören. Eine halbe Stunde später begann ein wahres Inferno. Es blitze und donnerte direkt über unseren Köpfen. Es kamen immer mehr Leute an und es wurde verdammt eng im Shelter. Die Verantwortliche des Platzes kam auf einmal plötzlich zu uns herüber gerannt und fragte, ob ein Mitarbeiter der örtlichen Hütten hier sei. Er hatte heute einen freien Tag und unternahm eine Tageswanderung. Tato hat ihn noch etwa eine Stunde vor dem Gewitter getroffen. Er hatte nur einen kleinen Tagesrucksack dabei und höchstwahrscheinlich keine geeignete Kleidung. Ich hoffe nur, ihm ist nichts passiert und dass er nicht oberhalb der Baumgrenze von dem Sturm erwischt wurde.

Als wir morgens den Trail sahen, mussten wir feststellen, dass er sich in einen Wasserfall verwandelt hat. Die Gruppe von Section-Hikern musste auf die harte Tour lernen, dass wasserdichte Schuhe nicht wasserdicht sind. Schon alleine, weil sie ein riesen Loch haben. Gegen 9 Uhr kamen wir an der ersten Hütte an und aßen die Überreste des Frühstücks für die Gäste. Wir können die extra Kalorien dringend gebrauchen und die Mitarbeiter der Hütten müssen die Essensreste nicht wieder den Berg runtertragen, denn Straßen gibt es nicht. Übrigens geht es dem vermissten Hüttenmitarbeiter gut; er hat er noch rechtzeitig zur Greenleaf Hut geschafft, bevor der Sturm losging. Kurz nach Mittag aßen wir in der nächsten Hütte eine Suppe und warteten auf besseres Wetter, da der Horizont pechschwarz und der Donner nicht fern war. Zwei Stunden später brachen wir wieder auf und haben das erfreulich flache Teilstück genossen. Eigentlich wollten wir so nahe wie möglich vor Mount Washington campen. Da für die Nacht aber Gewitter und starke Winde angesagt waren, entschieden wir uns stattdessen für das Shelter. Das bedeutete zwar, dass wir morgen später mit dem Aufstieg beginnen werden. Für heute Nacht war es aber die sicherere Variante. Zumindest konnten wir so den Sonnenuntergang über dem See beobachten.

4:40 Uhr klingelte der Wecker. Kurz vor 6 Uhr waren wir auf dem Trail. Wir wollten unbedingt so früh wie möglich in der 14 Meilen entfernten “Lake of the Clouds Hut“ ankommen, um den Gewittern zuvorzukommen. Nach einer Stunde leichten Terrains, kamen wir am Fuß von Mount Washington an. Ich hatte einen riesen Respekt vor dem Berg. Er hat mehr Leben auf dem Gewissen, als jeder andere Berg in den USA. Die meisten sterben, weil sie keine passende Kleidung für einen Sturm dabei haben. Mich würde es aber nicht wundern, wenn Leute wegen des Terrains umkommen. Wir mussten teilweise Felswände hochklettern die fast senkrecht nach oben führten. Im Regen ein Ding der Unmöglichkeit. Wer hier abrutscht, fällt sehr sehr tief. Und was mir gar nicht gefiel, waren die dunklen Wolken, die über uns hinwegzogen. Als wir die erste Hütte erreichten, stoppten wir für eine kalte Suppe und erzählten ein wenig mit dem Koch. Frühstück war leider keines mehr übrig, weshalb ich mit knurrendem Magen die letzten 5 Meilen wandern musste. Die meiste Zeit gingen wir oberhalb der Baumgrenze, was ich sehr beunruhigend fand, weil der Himmel ziemlich dunkel war. Ich stand die ganze Zeit unter Strom und wollte nur noch ein Dach über dem Kopf haben. Als ich die Hütte endlich sah, ließ ich einen lauten Freudenschrei los! Der ganze Druck fiel auf einmal von meinen Schultern. Tato kam kurze Zeit später an. Wir wollten eigentlich für Kost und Logis arbeiten. Man sagte uns, dass wir dafür zu früh ankamen und den Thru-Hikern angeboten wird, die am späten Nachmittag eintrudeln. Für 10$ sicherten wir uns einen Platz im sogenanntem “Dungeon“. Es ist eine Notfallunterkunft, die bis zu 6 Personen Unterschlupf bietet. Tato war alles andere als begeistert, da es nicht nur schäbig aussah, sondern auch verdammt kalt war. Ich war vollkommen zufrieden hier bleiben zu dürfen. Eine Stunde zuvor haben sie einem anderen Thru-Hiker diese Möglichkeit noch verwehrt und er musste über 100$ Dollar für ein normales Bett bezahlen. Die Hütte ist sehr groß und nimmt 90 Leute auf. Was wohl unter anderem daran liegt, dass es eine Zugangsstraße gibt. Den Nachmittag hab ich hungernd im Aufenthaltsraum verbracht und das Wetter beobachtet. Hier ändert sich das Wetter tatsächlich im Minutentakt. Erst sieht man die Hand vor Augen nicht, dann fängt es an zu regnen und 2 Minuten später scheint die Sonne. Die “Whites“ haben mit das extremste Wetter weltweit. Ohne diese stete Unbekannte, wäre das Wandern hier so viel angenehmer! So muss man immer hoffen, nicht von einem Unwetter überrascht zu werden. Nachdem die Gäste gespeist haben, startete ein Mitarbeiter eine Frage-Antwort-Runde rund um den Appalachian Trail, zu der wir Thru-Hiker eingeladen wurden. Ich erzählte ihnen unter anderem, dass wir zu wenig Essen für die Whites mitgenommen haben und ich seit 10 Stunden nichts gegessen habe. Vielleicht hat das dazu beigetragen, dass wir anschließend zum Reste-Essen eingeladen wurden :-) Das hat wahrlich den Tag gerettet.

Als wir morgens aufwachten, heulte der Wind draußen wie verrückt. Nicht nur das, man konnte keine 10 m weit sehen. Deshalb entschieden wir uns ein paar Stunden zu warten und auf besseres Wetter zu hoffen. Die Frühstücksreste verdienten wir uns wieder mit Geschirr abwaschen und den Speisesaal ausfegen. Es war genug Essen da, sodass wir uns richtig satt essen konnten. Da es nicht danach aussah, dass sich das Wetter bessern würde, entschieden wir uns, einfach loszugehen. Die Windspitzen betrugen 100 km/h, was das Balancieren auf den Felsen nicht gerade leichter machte. Auf dem letzten Stück zum Gipfel beschlug meine Brille, sodass ich nur schleichend vorankam. Nach dem obligatorischen Bild auf dem Gipfel, gingen wir schnurstracks in das recht große Gebäude direkt nebenan, in dem ein Souvenirshop, Restaurant, Museum und die Wetterstation untergebracht ist. Ein anderer Thru-Hiker, der schon den ganzen Morgen wegen des schlechten Wetters rumgeweint hatte, sagte mir, dass er heute nicht weitergeht. In dem Fall müsste er per Bahn den Berg runterfahren, die für gewöhnlich die Touristen hier hoch kutschiert. So schlimm war es draußen nun auch wieder nicht und so nahmen wir die 6 Meilen zur nächsten Hütte in Angriff. Um wenigstens etwas sehen zu können, bin ich ohne Brille gegangen und folgte Tatos Silhouette. Das hat auch ganz gut geklappt – ich bin nur 2 oder 3 mal hingefallen und dachte nur einmal, dass ich einer falschen Person gefolgt bin. Der Wind war teilweise so stark, dass man die Felsen mit Rückenwind ohne Mühe hochlaufen konnte. Einmal wäre ich fast auf der anderen Seite wieder runtergeweht worden, weil ich zu viel Schwung hatte, und der Wind so viel Kraft hatte. In der Hütte angekommen, machten wir uns über die Reste des Truthahns her. Dazu gab es eine warme Suppe und eine Tasse Tee. So gestärkt machten wir uns an das letzte Teilstück des Tages. Es ging meilenweit über den Bergkamm und über unseren Köpfen zogen all die dunklen Wolken hinweg. Ich vertraute auf den Wetterbericht, der für heute mal keine Gewitter angesagt hatte. Ansonsten wäre das ein sehr gefährliches Plätzchen gewesen. Mit dem Erreichen der Baumgrenze fühlte ich mich sofort sicherer. Auch die Temperaturen stiegen deutlich an, jetzt da wir vor dem Wind geschützt waren. Gecampt haben wir irgendwo um Wald, direkt vor dem morgigen großen Anstieg.

Vor den sogenanntem “Wildcats“ haben uns die Sobos lange zuvor gewarnt. Wir wanderten von morgens um 7 Uhr bis abends 7 Uhr und waren völlig fertig mit der Welt, als wir abends das Shelter erreichten. Den ganzen Tag ging es nur steil bergauf und bergab. Pünktlich zur Mittagszeit kamen wir an der letzten Hütte in den White Mountains an, um etwas zu essen. Wir machten den Abwasch und konnten dafür so viel essen wie wir wollten. Es war Truthahn, Rindfleisch und Lasagne von gestern übrig. Das hat uns definitiv über den Tag geholfen – besonders Tato, der mittlerweile keine Snacks mehr hatte. Das war der letzte Tag in den Whites. Alles war hier extremer: die steilen Berge, die Aussichten, die man von dort oben hatte, und nicht zu vergessen das Wetter. Von strahlendem Sonnenschein bis hin zu einem Weltuntergang gleichendem Gewitter haben wir fast alles gesehen. Nur Schnee blieb uns erspart. Besonders die zum Teil stundenlangen Wanderungen oberhalb der Baumgrenze haben mir mental alles abverlangt. Ich hatte einfach viel zu viel Angst, dort oben von einem Gewitter überrascht zu werden, wohl wissend, dass die Baumgrenze manchmal sehr weit entfernt war. Trotzdem bin ich froh, dass uns der AT über diese Berge geführt hat. Die Aussichten waren einzigartig und einfach nur wunderschön.

Dank dem langen Tag gestern, waren es heute nur 2 Meilen in die Stadt. Zuallererst gingen wir ordentlich frühstücken. Wir hatten gerade bestellt, da kam Spice zur Tür herein. Er hat uns das “Barn Hostel“ wärmstens empfohlen, wo wir dann auch später eincheckten. Die ehemalige Scheune dient Hikern und anderen Outdoorfreunden seit 30 Jahren als Unterkunft. Wir waren richtig froh, hierhergekommen zu sein. Die Atmosphäre war gemütlich, der Inhaber des Hostels war sehr nett und hilfsbereit und obendrein gab es WLAN, um den ganzen Internetkram zu erledigen und mich bei Freunden und Familie zu melden. Das beste war jedoch, dass meine neuen Schuhe endlich angekommen sind. Die alten haben über 1300 km durchgehalten und sind inzwischen total ausgelatscht, was wohl der Grund für die Knieschmerzen war. Zu meiner freudigen Überraschung hat sich der Zustand meiner Knie nicht weiter verschlechtert. Ich spür sie lediglich auf den steilen bergab Passagen, aber damit hat zum jetzigen Zeitpunkt jeder Thru-Hiker zu kämpfen. Außer ausruhen, essen und im Internet daddeln haben wir nicht mehr viel gemacht. Genau das richtige Programm für einen Ruhetag.

So gut hab ich schon lange nicht mehr geschlafen. Da fiel das Aufstehen morgens viel schwerer als sonst. Kurz bevor wir wieder zum Trail gebracht wurden, hat Tato ein neon-oranges Basecap mit dem Schriftzug “Maine“ gefunden. Genau dorthin gingen wir heute. Der letzte Staat ist erreicht und laut den Sobos wird es noch schwerer als in den Whites. Wie das möglich sein soll, weiß ich noch nicht, aber ich bin sicher, das werden wir schon bald herausfinden.

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