Von der “Mahoosuc Notch“ hat man schon seit den ersten Tagen auf dem Trail gehört. Es handelt sich dabei um die schwerste Meile des gesamten ATs. Andere wiederum sagen, es ist die lustigste Meile, da man, je nach Fitnesslevel, zwischen einer und drei Stunden für das Durchqueren des Felsenmeeres braucht. Mit vollem Körpereinsatz kletterten wir über die Felsen und zwängten uns stellenweise unter ihnen durch. Den Rucksack mussten wir dabei vor uns herschieben, weil wir sonst unmöglich dort durchgepasst hätten. Nach einer guten Stunde war der Spaß vorbei und wir machten uns wieder daran, die Berge hochzuklettern. Nach den ersten 10 Meilen hatte ich bereits die Tagesration an Snacks verputzt. Das dumme war, dass wir noch 7 Meilen vor uns hatten. Auf dem letzten Anstieg wurde mir schon ganz schwindelig und meine Füße taten  mehr das, was sie sollten. Es blieb mir nichts anderes übrig als eine Verschnaufpause einzulegen und zu warten, bis es sich besserte. Irgendwie schaffte ich es zum Shelter, völlig k.o. und froh, dass der Tag vorüber war. Der Süden von Maine ist echt verdammt hart! Viel schwerer als ich jemals zu träumen gewagt hätte.

Wir wussten, dass es gegen 10 Uhr zu regnen beginnen sollte und starteten deshalb früher als üblich, um den ersten Berg im trockenen hoch- und runtergehen zu können. Der Plan ging voll auf und so gingen wir nur die letzten, leichteren 4 Meilen im Regen zur Straße. Dort warteten wir noch etwa eine halbe Stunde auf den Shuttle-Service nach Andover. Nicht nur hatten wir keine Lust, den ganzen Tag im Regen zu laufen, wir hatten eine Pause dringend nötig. Wir waren selbst überrascht, wie schnell wir uns wieder nach einem Ruhetag sehnen, wo wir doch gerade in Gorham ausgeruht haben. Das gute war, dass wir nur noch 80 harte Meilen vor uns hatten. Danach wird es deutlich flacher. Zu fünft teilten wir uns die Kosten für eine kleine Hütte. Das war nicht nur billiger als ein Bett im Hostel, sondern auch viel ruhiger. Gegessen haben wir in dem einzigen Restaurant des Ortes. Das Essen war absolut spitzenmäßig. Ich verdrückte gleich 2 große Cheeseburger. Tarpman hat den Vogel abgeschossen, indem er 3 verschiedene Gerichte bestellte und alles bis auf den letzten Krümel verputzte. Das hätte nicht mal ich geschafft! Im kleinen Supermarkt auf der anderen  Straßenseite deckte ich mich mit reichlich Snacks ein. Hier in Maine scheint der Snackbedarf doppelt so hoch zu sein, wie üblich. Den restlichen Tag hab ich zum größten Teil damit verbracht, Tagebuch zu schreiben. Das hatte ich ziemlich schleifen lassen, weil ich nach den langen Tagen einfach keine Energie mehr hatte, irgendwas anderes zu machen.

Bis kurz nach 7 Uhr konnten wir heute schlafen. Das war purer Luxus und tat so gut! Um 8 Uhr wurden wir von der Hütte abgeholt und zum Hostel gebracht. Von dort aus, machten wir uns sofort in Richtung Restaurant auf. Mit vollem Magen war der Tag recht einfach. Vor allen Dingen, weil es nur 10 Meilen waren. Trotzdem sind wir recht oft hingefallen, was u.a. daran lag, dass es sehr matschig war. Wir gingen heute den Berg hoch, der mir schon seit Monaten im Hinterkopf rumschwirrte. Auf der Höhenprofilkarte sah es fast senkrecht aus. Es galt ca. 460 Höhenmeter in weniger als 1,5 km hochzuklettern. Zu meiner Überraschung war es viel einfacher als gedacht. Manche Berge in den Whites waren viel schwerer, weil man größere Schritte machen musste, um von Felsen zu Felsen zu kommen. Außerdem durchquerten wir heute unsere ersten Flüsse. In Maine gibt es kaum Brücken, weil sie mit der Schneeschmelze einfach weggespült werden würden. Darum mussten wir uns so durch das mehr als knietiefe Wasser kämpfen. Mir hat es Spaß gemacht – war mal was anderes :-) Quasi direkt vor unserem Campingplatz traf ich endlich Hänsel und Gretel. Das sind zumindest ihre Trailnamen. Ich hab ihre deutschen Shelterlog-Einträge seit Anbeginn des Trips gelesen. Sie sind schätzungsweise zwischen 60 und 65 Jahre alt und topfit. Deshalb konnte ich auch erst jetzt zu ihnen aufschließen. Schön, die beiden endlich mal kennenzulernen!

Den härtesten Teil des Tages haben wir gleich zu Beginn hinter uns gebracht. Danach war es, für Maine Verhältnisse, sehr flach. Trotzdem waren wir recht langsam unterwegs, weil der Trail sehr matschig war und wir zwischen bzw. über die Steine und Wurzeln balancieren mussten. Und irgendwie schien heute die Gravitation besonders hoch zu sein. Tarpman fiel ein paar mal hin, Tato und ich jeweils einmal und selbst Kodak, der bisher nicht ein einziges mal zu Boden ging, legte sich ebenfalls gleich 3x hin. An einem See mit Sandstrand machten wir eine schöne Pause und kühlten uns ein wenig ab. Tato erinnert die Landschaft (abgesehen von den Bergen) ganz an Finnland. Auch direkt vor dem Shelter war ein See, wo ich am Abend den Sonnenuntergang beobachtete und über die vergangene Zeit auf dem Trail nachdachte. Es will noch nicht ganz in meinen Kopf, dass wir in weniger als 2 Wochen das Ziel erreichen werden. Ich weiß nicht so recht, ob ich mich darüber freue, oder es schade finde, dass es bald vorbei sein wird. Eines steht fest – ich werde das Leben auf dem Trail und die Leute um mich herum sehr vermissen.

Das Terrain bis zum Highway nach Rangeley war erstaunlich einfach. Dafür vermieste mir mein Hals die Stimmung. Seit letzter Nacht hab ich ziemliche Halsschmerzen und es sieht nicht so aus, als ob sie schnell wieder verschwinden wollen. Kodak und Cheddar kamen als erste an der Straße an und organisierten einen Shuttle-Service in die Stadt. Dort gingen wir in das Restaurant, welches uns von einem Anwohner wärmstens empfohlen wurde. Ich bestellte eine große und sehr leckere Pizza mit Chili. Nicht nur das, jeder von uns orderte auch noch gleich einen Burger zum Mitnehmen für heute Abend. Der Supermarkt soll laut einigen Sobos der beste in Maine sein. Deshalb kaufte ich lieber ein bisschen mehr ein, als nötig. Somit wollte ich vermeiden, in 2 Tagen in einem kleinen Tante-Emma-Laden, unnötig viel Geld auszugeben. Als wir um 15 Uhr vom Betreiber des Hostels wieder abgeholt wurden, berichtete er uns von einigen Hikern, die krank wurden, nachdem sie Wasser auf den kommenden 30 Meilen tranken. Weil wir keine Lust hatten, so kurz vor dem Ziel krank zu werden, nutzten wir deshalb Tatos AquaMira, die auf Chemie basieren, und zuverlässiger sind als unsere Filter. Die Zelte schlugen wir neben einem See auf. Kodak fand ein Paddelboot, mit dem wir hinausfuhren.

Um dem vorhergesagten schlechten Wetter zu entgehen, standen wir schon vor 5 Uhr auf. Es ging sofort steil bergauf, was mir sehr zu schaffen machte. Zu den Halsschmerzen kam jetzt auch noch ein dicker Schnupfen dazu. Wir erklimmen 3 Gipfel, von denen wir zwar keine Aussichten hatten, weil es neblig war. Aber jedes mal, nachdem wir hinabstiegen, klärte sich der Himmel auf und wir konnten den Berg in seiner vollen Gestalt sehen. Als wir nach nur 7 Meilen das erste Shelter erreichten, ging es mir so mies, wie nie zuvor auf dem Trail. Einzig Kodak’s Medizin war es zu verdanken, dass ich genug Kraft hatte, um weiterzugehen. Tato entschied quasi im Alleingang, noch 5 Meilen weiterzugehen, als ursprünglich geplant. “Weil das Wetter so gut ist“. Schönen Dank dafür hab ich mir gedacht. Teamgeist ist was anderes. Alleine zurückbleiben wollte ich aber auch nicht und quälte mich so ein paar extra Stunden über die Berge. Hinter einem anderem Berg tobte für 3 Stunden ein heftiges Gewitter. Zum Glück kam es nicht zu uns herüber. Das wäre auf der kahlen Seite des Berges recht ungemütlich geworden. Abends waren alle fix und fertig und wollten nur noch ins Bett. Kodak hatte auch noch ein paar Pillen, die ich über Nacht nahm. Hoffentlich bessert sich mein Zustand bald wieder. So macht das keinen Spaß!

Man glaubt es kaum, aber auch heute Morgen galt es gleich zu Beginn einen steilen Berg zu erklimmen. Dafür wurden wir mit dem Erreichen des 2000 Meilen-Markers belohnt. Nicht nur das, für mich war es ebenso mein 4 monatiges Jubiläum auf dem Trail! Als es jemand gewusst hätte, wurden wir zur Mittagszeit mit Trail-Magic begrüßt. Tarpman war ganz aus dem Häuschen, als er sah, wer da aus dem Auto stieg: sein Kumpel, der ihm bei der Vorbereitung auf den AT geholfen hat. Keiner von ihnen hatte geahnt, dass sie sich treffen würden. Wir unterhielten uns für eine halbe Stunde, als eine andere Familie auf den Parkplatz fuhr, den Grill aufbaute und uns mit Burgern und Salat versorgte. Tarpman’s Kumpel fuhr uns noch schnell in die Stadt, wo wir Proviant einkauften. Als wir wieder zurückkamen, fuhr eine Thru-Hikerin auf den Parkplatz, mit der Tato einige Zeit gewandert ist. Sie hat Mount Katadhin vor 3 Tagen bestiegen und wollte ebenfalls mit ihrer Mutter Trail-Magic veranstalten. Wir aßen so viel wie konnten und nahmen noch beutelweise Kekse mit. Einen Van mit Anhänger, der uns Getränke und Essen anbieten wollte, mussten wir dankend weiterziehen lassen. So viel Trail-Magic an einem Tag, am selben Ort, ist echt rekordverdächtig. Es war schon fast zu schön, um weiterzuwandern. Wir wollten jedoch den letzten großen Berg vor Katadhin zumindest zur Hälfte hochklettern, damit es morgen leichter wird. Unglücklicherweise hat sich Tarpman den Knöchel auf dem Weg nach oben verstaucht und musste schon frühzeitig bei einem Campingplatz stoppen. Hoffentlich ist es nicht allzu schlimm und er kann seinen Thru-Hike beenden!

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