Nach dem langen Tag gestern war ich viel müder als erwartet. Unser Tempo wurde zusätzlich durch die vielen Wurzeln auf dem Trail verlangsamt. Und auch wenn die Höhenprofil-Karte sehr flach aussah, so gab es doch sehr viele Hügel, die wir hoch und runter gehen mussten. Wie man sich vorstellen kann, waren wir davon wenig begeistert. Als wir dann fast eine ganze Runde um einen See liefen, fragten wir uns nur “Warum?“. Schon um 14 Uhr kamen wir am Shelter an und legten eine größere Pause ein. Wir überlegten, wie weit wir heute noch gehen wollen. Als wir uns für den 7 Meilen entfernten Campingplatz entschieden und gerade aufbrechen wollten, verdunkelte sich der Himmel und kurz darauf war der erste Donner zu hören. Wir verspürten das plötzliche Verlangen doch nicht weiterzuwandern und im Shelter zu bleiben. Dadurch wird der morgige Tag mit 25 Meilen zwar recht lang, aber das ist zu diesem Zeitpunkt egal. Es steht schließlich nur noch eine Etappe bevor. Dann befinden wir uns am Fuße Katadhin’s.

Ich ließ mir morgens ein bisschen mehr Zeit als die anderen und startete etwa 6:15 Uhr… zum Glück! Denn so sah ich meinen ersten Elch. Davon habe ich schon seit Vermont geträumt. Nicht viele bekommen einen zu Gesicht, und diese Elchkuh ließ mich sogar sehr nah herankommen. Sie flüchtete 2x und nahm beide male den AT nach Norden. So kam es, dass ich sie insgesamt 3x zu sehen bekam :-) Danach ist sie durch das Gebüsch abgehauen und in einem See schwimmen gegangen. Leider konnte ich das nicht sehen – wäre bestimmt ein tolles Photomotiv gewesen. Pünktlich zur Mittagszeit erreichten wir den Abol Campground: die erste Verpflegungsstation nach der 100 Meilen Wildnis. Erst wollte ich auch was zu Essen kaufen. Die Preise waren, weil es so abgelegen war, jenseits von Gut und Böse. Stattdessen aß ich meine üblichen Snacks, die mir schon aus dem Hals heraushingen. Voller Euphorie lief ich die letzten 10 Meilen zum Katahdin Streams Campground in unter 3 Stunden. Dass das keine so gute Idee war, ließ mich mein Körper danach Spüren. Ich fühlte mich einfach nur schlapp. Kodak, der eine Abkürzung über einen anderen Trail nahm, war schon vor mir da und zeigte mir unseren reservierten Campingplatz. Dann gingen wir zur Ranger Hütte und holten uns unsere “Summit Number“ ab. Offiziell bin ich nun der 344. Thru-Hiker, der dieses Jahr Mount Katadhin besteigt. Am Abend kamen dann Kodak’s Schwester und ihr Freund an. Sie sind den ganzen Tag im Auto unterwegs gewesen und hatten nun die “Ehre“, uns stinkende Wanderer zum nächsten Restaurant zu fahren. Weil das Tempolimit so niedrig war, brauchten wir ewig. Als wir dann durch die Tür des Restaurants gingen, sprintete die Kellnerin zu den Fenstern, riss sie auf, und stellte danach sicher, dass die Tür ebenfalls weit aufblieb. Ups, sorry für den Gestank! Die anderen Gäste guckten uns alle ganz komisch an, einige machten sogar Fotos von uns…

Die allerletzte Nacht im Tarp war überhaupt nicht nach meinem Geschmack. Als ich den ersten Donner hörte, fing ich an, die Sekunden zwischen Blitz und Donner zu zählen. Eine halbe Stunde lag ich so im Zelt. Als es plötzlich direkt nach dem Blitz krachte, rannte ich zu Kodak’s Zelt und ließ mir die Autoschlüssel geben. Der einzige sichere Ort, wo ich mir nicht vor Angst in die Hose machte. 2 Stunden lang tobte das Gewitter direkt über uns. Der Wetterbericht für den Tag war ebenfalls schlecht, weshalb wir bis morgen mit dem Aufstieg warten wollen. Wir waren gerade auf halber Strecke nach Millinocket, einer kleinen Trail-Stadt, als das Auto liegen blieb. Nach einiger Zeit war die Ursache gefunden: eine Zündkerze hat sich aus der Verankerung gelöst. Als der Motorblock abgekühlt war, konnte Kodak sie wenigstens halbwegs reindrehen, sodass wir zur Stadt fahren konnten und das Auto in die Werkstatt geben konnten. Nach einem deftigen Mittagessen im berühmten Appalachian Trail Cafe checkten wir im Motel ein und ruhten den Rest des Tages aus.

Weil wir so früh wie möglich mit dem Aufstieg begonnen wollten, standen wir bereits 4:30 Uhr auf. Der Baxter State Park öffnete erst um 6 Uhr, weshalb wir noch kurz warten mussten. Halb 7 standen wir dann am Fuße Katadhins. Wow! So lange haben wir auf diesen Moment gewartet. Katadhin ist ein ganz besonderer Berg, der sich von allen anderen auf dem Trail deutlich unterscheidet. Im Rucksack hatten wir nur Getränke und Snacks, und trotzdem war es sehr anspruchsvoll. Ungefähr 3 km vor dem Gipfel erreichten wir das Plateau. Die Sonne ließ die Wolken, die über den Boden wehten, in einem gleißenden Licht erscheinen. Es sah beinahe mystisch aus. Als sich die Wolken verzogen und das Gipfel-Schild sichtbar wurde, fing ich voller Freude an zu laufen. Tato und Tarpman waren schon dort und empfingen mich mit einer Umarmung. Was für ein unglaubliches Gefühl. Vor ca. 5 Jahren habe ich zum ersten Mal vom AT gehört. Ich hatte weder Geld, noch Wander-Erfahrung, um ihn in Angriff zu nehmen. Als ich dann vor 2 Jahren meine erste Wanderung auf dem Jakobsweg sammelte, erzählte ich meinen damaligen Wandergenossen, dass ich den AT eines Tages wandern will. Auf dem letztjährigen Trip auf dem Jakobsweg testete ich die Ausrüstung, die ich für den Appalachian Trail und zukünftige Reisen kaufte. Schnell stellte sich heraus, dass es mit dem mörderischen Rucksackgewicht von 25 kg unmöglich war, längere Distanzen zu zurückzulegen. Nicht nur musste ich meine gesamte Ausrüstung neu zusammenstellen. Das größte Problem war mein kaputtes Knie, hervorgerufen durch das schwere Gepäck. Über ein halbes Jahr dauerte der Heilungsprozess. Anfangs konnte ich gerade einmal 1 km gehen, bevor das Knie zu schmerzen begann. Nur sehr langsam konnte ich die Distanzen steigern. Es gab viele Rückschläge, die mich fast wieder auf den Anfangszustand zurückbeförderten. Zugegeben, es war ein großes Risiko. Vor allen Dingen, weil ich sogar meinen Job aufgab, um meinen Traum zu erfüllen. Aber ich war fest entschlossen, es irgendwie möglich zu machen. Und hier standen wir nun. Es war der 27. August 2015. Ein Tag, an den ich mich für den Rest meines Lebens erinnern werde. Als ich vor 135 Tagen den ersten Fuß auf den Trail setzte, hatte ich ja keine Ahnung, was mich erwarten würde. Es war unglaublich schwer. Nicht nur körperlich, sondern auch mental. Sich Tag für Tag dazu aufzuraffen, von morgens bis abends zu wandern, selbst wenn man wusste, dass das Terrain verdammt schwer sein wird oder es den ganzen Tag regnen wird. Es war eine wirklich lebensverändernde Reise, auf der ich innerlich deutlich gereift bin. Und das beste waren die vielen tollen und gleichgesinnten Menschen, die ich kennengelernt habe. Damit meine ich nicht nur die Wanderer, sondern auch die zahlreichen Trail-Angel!

Und zum Abschluss möchte ich mich bei meiner Familie für ihre Unterstützung bedanken. Vielen Dank euch allen!