Da es heute ein entspannter Tag von gerade einmal 12 Meilen werden sollte, ließ ich mir morgens alle Zeit der Welt. Bis auf Chef, ein junger Wanderer in meinem Alter, waren schon alle aufgebrochen. Ich habe ihn gestern Abend in Noc zum ersten Mal getroffen, und wir haben uns von Anfang an gut verstanden. Da er noch seine Yoga-Übungen zu Ende machen wollte, ging ich 9:30 Uhr Richtung Fontana Dam alleine los. Beim ersten Shelter unterhielten sich zwei Herren aufgeregt über einen alten Mann, der gestern Abend nach einem Telefonat das Shelter verlassen hat und bis heute nicht wieder aufgetaucht ist. Er litt an Alzheimer, was die Sache nochmal gefährlicher machte. Kurz vor Fontana Dam kam mir ein Park Ranger entgegen, der nach ihm suchte. Ob sie ihn letztendlich noch gefunden haben, kann ich nicht sagen.
Am Shelter angekommen, sah ich zu meiner freudigen Überraschung Backtrack wieder. Ich traf ihn zum ersten Mal, bevor es nach Hiawassee ging. Er ist einer der angenehmsten Leute auf dem AT, denen ich bisher begegnet bin. Und er geht die gleichen Distanzen wie ich – sozusagen der perfekte Hiking-Partner.
Was mir an dem Shelter am besten gefiel, war die herrliche Aussicht auf den Stausee. Bevor ich irgendetwas anderes machte, ging ich zunächst zum Besucherzentrum, um endlich den Pass für den National Park zu bekommen. Bezahlt habe ich schon vor 2 Tagen, der Pass wurde bisher aber noch nicht verschickt. Nachdem ich die Emails gecheckt habe und die Genehmigung im virtuellen Briefkasten hatte, fragte ich die nette Dame von der Infothek, ob ich den Pc und Drucker benutzen darf. Kurze Zeit später hatte ich den Wisch dann endlich in den Händen. Wird man ohne von einem Park-Ranger erwischt, wird man nicht nur aus dem Park geschmissen, sondern muss auch noch eine saftige Geldstrafe zahlen. Während ich noch dabei war, den Blog zu aktualisieren, kam Chef zur Tür herein. Er hatte die Genehmigung ebenfalls noch nicht und borgte sich mein Handy aus. Als Dankeschön bereitete er mir abends ein herrliches Festmahl zu. Endlich mal was anderes als Haferflocken! Zu später Stunde wurde noch ein Lagerfeuer entfacht und in Begleitung zur Gitarre fröhlich vor sich her gesungen. Was für ein toller Abschluss eines großartigen Tages.
Dienstag ging es endlich in den Nationalpark. Dort erhoffte ich mir mal ein bisschen Abwechslung von der bisher immer gleichen Landschaft. Um dort hinzugelangen, muss man über den Damm gehen – ziemlich imposant! Kurze Zeit später wird man von einem Schild darauf aufmerksam gemacht, dass man sich jetzt in den Great Smoky Moutains befindet. Etwa 10 Minuten Fußweg dahinter befand sich die Box, wo man seine Genehmigung einwerfen muss. Ein übereifriger Wanderer hat sie wohl übersehen und mich 2 Kilometer später gefragt, ob wir schon dran vorbeigekommen sind. Da durfte er den Berg nochmal runterlaufen. Insgesamt 10 Kilometer ging es bergauf, wobei man sich von ungefähr 700 Meter ü.N. auf 1700 Meter hocharbeitet. Weil der Essenssack noch ziemlich schwer war, beschlossen wir, uns im Shelter bei Meile 16 zu treffen. Wir waren in dem Fall Backtrack, Chef, Gelati und meiner einer. Unterwegs hat Backtrack sogar einen Bären gesehen, welcher aber ziemlich schnell vor ihm geflüchtet ist. Ab dem Zeitpunkt sind auch meine letzten Sorgen bezüglich der ach-so-gefährlichen Bären verschwunden. Soviel ich mich auch umgeschaut habe, außer Vögeln und etlichen Eichhörnchen, konnte ich selbst leider keinen entdecken. Die Landschaft war im Großen und Ganzen noch dieselbe, wie außerhalb des Nationalparks. Allerdings gab es keine wilden Campingplätze, die das Naturbild verschandeln. Ein weiterer Unterschied waren die weiter auseinanderliegenden Wasserstellen und die Shelter. Die Front war meistens mit Planen zugedeckt, sodass der Wind nicht durchpfeifen kann, und es gab sogar einen Kamin. Wenn das kein Luxus ist!
Am Shelter angekommen, hat Gelati Pfannkuchen gemacht, und obwohl sie ziemlich angebrannt waren, haben sie verdammt lecker geschmeckt. Chef kam als letzter an und hat das Festmahl damit verpasst. Er sah ziemlich abgekämpft aus, befürwortete aber den Plan, morgen 20 Meilen zu gehen.
Statt mit dem vorhergesagten Regen, wurden wir morgens mit dem herrlichsten Sonnenschein begrüßt. Das Frühstück fiel besonders groß aus, um für die große Distanz gewappnet zu sein. So schaffte ich es bei mäßigem Tempo Kräfte zu sparen und 5 Stunden lang ohne Pause durchzuwandern. Unterwegs wurde ich zum Glück von einem anderen Wanderer auf 2 Truthähne aufmerksam gemacht, an denen ich sonst wohl vorbeigelaufen wäre. Nach 12 Meilen habe ich an einem Shelter Backtrack und Gelati getroffen. Die beiden gehen viel schneller, machen dafür aber auch mehr Pausen. Auf den restlichen 8 Meilen konnte ich meine Hüfte schon deutlich spüren, war aber alles noch im grünen Bereich. Kurz vor der 200 Meilen-Marke befand sich der höchste Punkt des gesamten AT’s. Leider war es so neblig, dass man überhaupt nichts sehen konnte. Backtrack sah abends wie ein alter Mann aus, so steif wie seine Beine waren und er deshalb kaum noch gehen konnte. Da musste selbst er zugeben, dass 2 weitere Tage a 20 Meilen unmöglich sind. Gelati und Chef, der es nur bis zum vorletzten Shelter geschafft hat, wollten sowieso in Gatlinburg eine Pause einlegen – also beschlossen wir, es ihnen gleichzutun. Als sich alle schon bettfertig gemacht hatten, sprang Gelati plötzlich auf und meinte die 3 Meilen zum Aussichtspunkt noch einmal zurückzulaufen, weil der Himmel inzwischen aufgeklärt hatte und er unbedingt ein Foto vom Gipfel des AT’s machen wollte. Er kam erst 22 Uhr wieder, war aber vollkommen zufrieden, weil er ein paar unglaublich schöne Bilder machen konnte. Danach konnte ich nur noch sehr schlecht schlafen, weil die Hüfte ziemlich geschmerzt hat. Blöderweise hatte ausgerechtet dieses Shelter keine Plane, die die Front abdeckte, und der Wind somit ungehindert hineinwehen konnte. Alles in allem war es eine ziemlich kalte Nacht. Ich hatte zwar kein Thermometer dabei, würde aber sagen, dass es nur knapp über 0°C war.
Nächsten Morgen wollten wir bis 10 Uhr den Highway erreichen, der nach Gatlinburg führt, was uns auch auf den Punkt gelungen ist. Gelati mal ausgenommen, denn er kam schon einige Zeit vor Backtrack und mir an. In der Zwischenzeit konnte er ein Shuttle auftreiben. Ein netter älterer Herr hat uns in einem typisch großen Ami-Truck kostenlos in die Stadt gebracht. Wie viel Glück wir damit hatten, wurde uns erst dann klar, als mehrere Wanderer berichteten, dass sie länger als 2 Stunden auf eine Mitfahrgelegenheit warten mussten. Da Gelati sich abends mit seiner Mutter in dieser knallbunten Touristenstadt treffen wollte, haben Backtrack und ich uns ein Zimmer geteilt. Bis zum Check-in mussten wir noch 4 Stunden warten, weshalb wir alle drei in ein Burger-Restaurant gegangen sind. Als Backtrack eine große Portion Pommes bestellte, fragte die Kassiererin noch ungläubig nach, ob er wirklich die Portion für 4 Personen haben möchte. Ich bin ein Wanderer, ich schaff’ das schon. Für nur 5 Dollar konnte ich der Versuchung ebenfalls nicht widerstehen und bestellte dazu den größten Burger. Für insgesamt 14 Dollar haben wir ungefähr 3000-4000 Kalorien bekommen. Es war wirklich unglaublich viel! Kein Wunder, dass es so viele dicke Amerikaner gibt. Ich war so voll, dass ich kaum noch gehen konnte. Aber das musste mal sein, nach Tagen der einseitigen Haferflocken-Diät. Nach dem Essen gingen wir zu dem örtlichen Outdoorshop, der mit 3 Stockwerken der größte war, den ich bisher gesehen habe. Ich versuchte dort, ein neues Paar Schuhe zu bekommen, weil sich meine schon ab Meile 150 zunehmend auflösten. Ohne weiter nachzufragen, gaben sie mir ein brandneues Paar für lau. Ich hoffe, dass sie diesmal länger halten und der hohe Verschleiß dem harten Terrain geschuldet war, welches sich hoffentlich bald ändert. Die Socken sahen mittlerweile auch schon wie ein Schweizer Käse aus, weshalb ich mir neue Darn Tough Socken zulegte, die man ebenfalls problemlos umtauschen kann, wenn sie kaputt gehen. Mit dem neuen Equipment ging es direkt zum Motel, wo wir jetzt einchecken konnten und ich sofort unter die Dusche sprang. Danach haben Gelati und ich den Supermarkt gesucht. Damit die ganzen Touristen gar nicht erst auf die Idee kommen, dort billig einzukaufen, hat man ihn zu unserem Leidwesen 5 km außerhalb der Stadt platziert. Nach einer Stunde Fußmarsch kamen wir endlich im Regen an. Die gute Nachricht war, dass Gelati’s Mutter die Stadt schon fast erreicht hatte, und uns dann zurück zum Motel bringen konnte. Leider war es um ihre Navigationskünste nicht allzu gut bestellt, sodass wir noch eine Stunde auf sie warten mussten. Dadurch haben wir aber Merinda und Chef wiedergetroffen, die ebenfalls Proviant einkauften. Wir verabredeten uns zum Abendessen beim Chinesen, wo es ein Buffet gab. Nach 4 randvoll gefüllten Tellern und Nachspeise war ich so voll, dass ich zum zweiten Mal innerhalb eines Tages kaum noch gehen konnte und für den Rest des Abends Bauchschmerzen hatte. Alles in allem waren das heute an die 8000 Kalorien. Als Thru-Hiker ist einem das aber völlig egal, weil man alles essen kann, was man zwischen die Finger bekommt und trotzdem nicht zunimmt.
Nächsten Morgen wollten Backtrack und ich gerade zur Tankstelle gehen und nach einer Mitfahrgelegenheit Ausschau halten, als ein Pick-Up Truck an uns vorbeifuhr, hupte und uns zu verstehen gab, dass er uns mitnimmt. Außer uns fuhr er noch 5 andere Wanderer zurück zum Trail, wovon 2 draußen auf der Ladefläche saßen. Zum zweiten Mal ein riesen Glück gehabt! Das Wetter war oben in den Smokys ziemlich ungemütlich. Allerdings bei weitem nicht so schlecht, wie letzte Nacht, als es einen Schneesturm und Hagel gab. Wir hätten uns wahrlich keinen besseren Tag als Ruhetag in Gatlinburg aussuchen können! Die Schneeüberreste und das Eis an den Bäumen, rasselten mit jeder Windböe auf den Trail. Nach 10 Meilen waren wir schon am Ziel angekommen und machten ein Feuer im Shelter. Später gesellten sich 2 Section-Hiker dazu, die nur das Wochenende wandern. Diese spezielle Art des Wanderers ist leicht an ihrer Ausrüstung auszumachen, da sie keinesfalls auf das Gewicht achten und allen möglichen Kram, inklusive einer Säge mitschleppen.
Der Plan für Samstag sah eigentlich so aus, dass wir einen weiteren kurzen von 13 Meilen einlegen. Es stellte sich als der beste Tag seit Beginn der Reise heraus – wettertechnisch und auch landschaftlich. Um nicht den halben Tag im Shelter zu verbringen, gingen wir noch weitere 7 Meilen zum nächsten. Unterwegs sah ich sogar ein paar Rehe auf dem Trail. Auch wenn sich die Bären erfolgreich versteckten, war das ein versöhnlicher Abschied vom Great Smoky National Park. Denn bis auf eine Meile haben wir ihn nun durchquert. Und mein Fazit fällt absolut positiv aus; es war wirklich ein sehr schönes Erlebnis hier zu wandern und die ganzen Tiere im Wald zu sehen.
Backtrack will sich in Hotsprings mit einer alten Freundin treffen, die er schon lange nicht mehr gesehen hat. Darum wollten wir heute eigentlich 18 Meilen und den Tag darauf 15 wandern, um Dienstag einen Nero-Day einlegen zu können. Aber erstens kommt es immer anders, und zweitens als man denkt. Am Morgen dachte ich noch, dass meine Hüfte den Zeitplan eventuell durcheinanderbringen könnte. Die hat sich aber auf erstaunliche Weise während eines langen Aufstieges wieder gebessert. Wahrscheinlich, weil ich diesmal die Arme mehr benutzte, um mich hochzuarbeiten. Nein, heute war es Backtrack’s Wade, die sich verkrampfte, sodass wir schon nach 10 Meilen stoppten. Draußen auf der Bank saß John, der zusammen mit seinem Hund Rocko vor 2 Tagen den AT begonnen hat. In der Zeit hat er nur 8 Meilen geschafft und war so erschöpft, dass er heute einen Ruhetag einlegen musste. Da er viel zu viel Essen dabei hatte, schenkte er mir eine Packung Nudeln. Später zeigte ich ihm ein paar Dehnübungen, weil er ziemlich steife Beine hatte. Ohne die täglichen Stretch-Übungen hätte mein Knie schon längst den Geist aufgegeben. Aber bis auf ein paar Leute, die Yoga machen, sieht man allerdings kaum jemanden, der sich dehnt. Als Backtrack seine Hängematte aufbaute, schaute ich mir das Setup mal genauer an und konnte mal probeliegen. Alles, was ich bisher Positives darüber gehört habe, stimmt! Es war so bequem, dass ich ernsthaft darüber nachdenke, mir ebenfalls eine zuzulegen und somit hoffentlich mein Schlafproblem in den Griff kriege. Kurz vor Sonnenuntergang tauchte zu unserer freudigen Überraschung Gelati auf, der gestern einen 15 Meilen Tag eingelegt hat, und heute an die 26 Meilen gegangen ist. Bei dem Terrain eine unglaubliche Leistung!

 

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