Heute war ich zum ersten Mal richtig von dem flachen Terrain gelangweilt. Das sind wohl die Luxusprobleme eines an die Berge gewöhnten Thru-Hikers. Kurz vor Feierabend habe ich bei dem Imbiss eines Campingplatzes Rast gemacht. Wie ich da so saß, mein Eis genoss und an nichts Böses dachte, warnten mich 2 andere Wanderer vor einem schweren Gewittersturm, der in wenigen Stunden beginnen sollte. Zum Glück war ich nur eine halbe Stunde vom Shelter enrfernt, sodass ich mir darum keine Sorgen machen musste. Ich war gerade an der Weggabelung zum Shelter angekommen, als Gelati von eben diesem zurückkam. Er sagte nur TNT, keine Zeit für Erklärungen. Wir bleiben hier heute nicht, wir müssen weiter! Vertrau mir! Ich dachte an alles mögliche. Eine Gruppe von Bären, die das Shelter besetzt; einen Psychopathen, der sich an den Leuten vergreift oder oder oder Nein, ganz im Gegenteil. Er hat heute Vormittag einen älteren Herren getroffen, der ihm anbot, heute Abend in seinem Appartement zu übernachten. Bis zu 10 Leute nimmt er auf – wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Wir müssen nur bis 16 Uhr zu Bootens Gap gehen, wo er uns aufsammeln wird. Das klang schon fast zu gut, um wahr zu sein. Ich dachte nur, dass es sich ordentlich lohnen müsse, weil es schon kräftig über unserem Köpfen donnerte, während wir die ungeplanten 2 extra Meilen einlegten. Als wir auf dem Parkplatz ankamen, hatten wir noch eine gute halbe Stunde Zeit. Wenig später leisteten uns die beiden Brüder Just Doug und Five Gesellschaft. Die beiden haben ebenfalls von der Trailmagic gehört und waren genauso gespannt wie wir. Als der Pick-Up Truck wie versprochen vorfuhr und ein nett aussehender Mann mit breitem Grinsen ausstieg, waren wir alle total aus dem Häuschen. Die Rucksäcke wurden schnell auf die Ladefläche geworfen und schon begann die dreiviertel stündige Fahrt ins Ungewisse. Wir waren noch gar nicht lange unterwegs, da entdeckte ich plötzlich einen Bärenkopf aus dem Gebüsch ragen. Ehe ich ein ordentliches Foto machen konnte, wer er aber leider schon im Wald verschwunden. Aber hey, der erste Bär! Die Überraschung mit den Appartements hätte nicht besser gelingen können! Ohne zu übertreiben war es eines der besten Appartements, die ich bisher gesehen habe. Die Betten waren super bequem (das erste richtige Bett seit über einem Monat!), es gab einen Kamin, in jedem Raum ein Fernseher, wir hatten 2 Duschen und eine große Badewanne/Whirlpool. Nachdem sich jeder von uns den Dreck der letzten Tage abgewaschen hatte, fuhr uns unser Gastgeber Max Factor zu dem Haupt-Appartement, wo die anderen 4 Wanderer untergebracht waren. Beim gemeinsamen Abendessen erzählte er uns seine bewegende Geschichte und Gründe, weshalb er all das für uns macht. Und er tut wirklich alles, was er kann, damit sich seine Gäste wohl fühlen. Sein Tag beginnt morgens um 4:30 Uhr und endet erst Mitternacht. Seit 5 Jahren macht er das bereits, jeweils für eine Woche im Jahr. Nächstes Jahr will er mit seiner Frau den Appalachian Trail durchwandern und ich hoffe wirklich sehr, dass ihm ähnlich Gutes widerfährt. Der Mann hat es echt verdient!

So eine erholsame Nacht, hatte ich schon lange nicht mehr. Wenn ich könnte, würde ich hier glatt einziehen. Zum Frühstück gabs Toast, Bacon und Spiegeleier – danach hab ich mich schon seit Ewigkeiten gesehnt! Gegen 10 Uhr war der Zauber leider schon vorbei und der Wanderalltag holte uns wieder ein. Auf dem Rückweg zum Trail hielten wir in Elkton an, wo wir Essen für die nächsten Tage einkaufen konnten. Somit müssen wir das morgen nicht machen und sparen uns das Trampen. Mit den für heute angesetzten 9 Meilen konnten wir es mal richtig entspannt angehen lassen. Am Shelter angekommen, begrüßte uns zu unser freudigen Überraschung Red Pepper. Er schien seine Marshmallows unbedingt loswerden zu wollen, denn beim Lagerfeuer hörte ich stets iss ruhig noch einen. Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen :-) Ich hätte übrigens nie gedacht, dass ich das mal sagen würde. Ich bin ein echter Fan von Marshmallows geworden.

Da uns die Möglichkeit geboten wurde, haben wir im Skyland Resort zusammen mit Red Pepper und McFly, einem anderen deutschen Thru-Hiker, gefrühstückt. Das Essen war gut, gar keine Frage, aber für den Preis und das schwarze Loch in meinem Magen, war es nicht annähernd genug. Dafür konnten wir noch in der Lounge entspannen. Erst zur Mittagszeit bequemten wir uns, wieder zu wandern. Je kürzer die Distanzen den jeweiligen Tag sind, desto fauler fühle ich mich. Sich für 10 Meilen oder weniger zu motivieren fällt mir immer ziemlich schwer. Auf dem Weg zum Shelter fühlte sich mein Schuh auf einmal ganz anders an. Irgendwie ganz luftig. Ich schaute herunter und sah, dass der Schuh nun komplett aufgerissen war. Das sieht zwar ziemlich dämlich aus, beeinträchtigt das Wandern aber nur unerheblich. Das einzige was passieren kann, ist, dass man an einer Wurzel o.Ä. hängen bleibt und die Zehen aus dem Schuh ploppen. Ein neues Paar Schuhe war schon bestellt und wartet in Waynesboro, Pennsylvania auf seinen Einsatz. Red Pepper schockte uns am späten Nachmittag mit der Nachricht, dass er eventuell den Trail vorzeitig verlassen muss. Seine Achillesverse machte ihm schon seit ein paar Tagen zu schaffen und wurde von Tag zu Tag schlimmer. Bevor er das Handtuch schmiss, rief er jedoch seine Physiotherapeutin an und bat sie um Rat. Ihrer Aussage nach kann er weiterwandern, solle es aber langsamer angehen.

Der letzte Tag im Shenandoah National Park und endlich hab ich den ersten Bären auf dem Trail gesehen. Er war nur etwa 10 Meter entfernt und knabberte an einem Baum herum. Am Anfang dachte ich noch Oh cool, ein Bär. Plötzlich rasten 2 kleine Bärenkinder den Baum hoch und meine Begeisterung schlug ganz schnell um. Denn einer Bären-Mama mit Kids sollte man lieber nicht zu nahe kommen. Langsam bin ich zurückgewichen, bis kurz darauf ein anderer Wanderer kam. Wir machten mit unseren Trekkingstöcken so viel Krach wie möglich, woraufhin die Bärin auf den Baum kletterte und für uns Platz machte. Nach dem Erlebnis fällt mein Fazit der vergangenen Tage definitiv positiver aus. Ansonsten war es vor allen Dingen einschläfernd eintönig und einfach. Alternativ hätte man mit dem Kanu die Flüsse runterfahren können. Das wäre sicherlich um einiges abwechslungsreicher gewesen. Aber dann wäre es halt kein Thru-Hike mehr!

Nach dem langen Tag gestern war ich mehr als bereit für den Stadtbesuch in Front Royal. Zusammen mit McFly standen wir kurz nach 9 Uhr an der Straße und hielten den Daumen hoch. Schon das zweite Auto hielt an und nahm uns mit. Am Steuer saß eine alte Frau, die auf dem Weg zur Kirche war. Sie setzte uns bei der Post ab, weil Gelati ein paar Sachen nach Hause schicken wollte, damit sein Rucksack leichter wird. Wir hatten uns schon von der netten Lady verabschiedet, als sie nochmals hereinkam, McFly einen 50$ Schein in die Hand drückte und sagte, dass das Mittagessen auf ihre Rechnung geht. Ist das zu fassen?! So viel Trail-Magic, wie wir an den letzten Tagen erfahren, ist einfach überwältigend. Nachdem wir kurz in einem Café stoppten, um das WLAN zu nutzen, schauten wir uns nach einer Übernachtungsmöglichkeit für die Nacht um. Weil wir kein Geld für ein Motel oder Hostel ausgeben wollten, probierten wir mal was neues aus. In einer Straße mit gepflegten Häusern und Gärten fragten wir die erste Person, die wir draußen sahen. Auf die Frage, ob wir unser Zelt im Garten aufbauen dürfen, guckte sie uns erst ungläubig an und lud uns dann zu einem kalten Drink ein. Sie wollte uns verständlicherweise erst ein bisschen besser kennenlernen, bevor sie zusagt. Nach einem netten Plausch, bot sie uns sogar an, eine Dusche zu nehmen oder in den Outdoor-Pool zu springen. Während Gelati eher der Typ für heiße Duschen ist, kühlte ich mich im Pool ab. Heute Morgen um 6 Uhr war es schon ungefähr 25°C warm und seitdem wurde es nur noch schlimmer. McFly drängelte derweil schon, weil ihm der Magen ziemlich knurrte. Unsere Gastgeber Amanda und John fuhren uns zu dem besten Pizza-Restaurant der Stadt, wo wir unser Essensgeld auf den Kopf hauen wollten. Den Ruf hat es sich zu Recht verdient! Die Pizza gehörte definitiv zu den besten, die ich je gegessen hab. Danach stand nur noch der Einkaufsbummel auf der ToDo-Liste, bevor wir uns den lang ersehnten 4. Teil von Jurassic Park im Kino anschauen wollten. Auf dem Weg zum Supermarkt wurden wir von einem Unwetter überrascht, dass die Straßen völlig überflutet hat. Eigentlich wollten wir John nicht schon wieder um eine Taxifahrt bitten. Aber bei dem Regen hatten wir keine andere Wahl. Er sagte, dass es der heftigste Regen sei, seitdem er vor 5 Jahren in die Stadt gezogen ist. Ohne Zeit zu vertrödeln ging es nach der Einkaufstour zurück zu Amandas und Johns Haus, wo wir die Sachen zurückließen und gingen anschließend schnurstracks zum Kino. Die Leute standen schon Schlange, als wir ankamen. Ich will ja keine Schleichwerbung machen, aber der Film war echt gut! Als wir zurückkamen war ich dann zu faul/müde, um das Tarp aufzubauen und schlief stattdessen einfach auf der Terrasse.

Mein Frühstück bestand heute aus 1,5 kg Nudeln mit Fleischbällchen und Chilibohnen. Eine willkommene Abwechslung zu dem sonst immer gleichen Essen, bestehend aus Haferflocken, Schokoriegeln, Erdnussbutter und Erdnüssen. Gerade als ich aufgegessen hatte, fragte uns Amanda, ob wir Spiegeleier mit Bacon essen möchten – ja, aber sowas von! Zum Abschluss brachte uns John noch zum Trail zurück. Die letzten 24 Stunden waren fast zu gut, um wahr zu sein. Vielen Dank an die nette Lady, die uns das Essen bezahlte und natürlich Amanda und John, mit denen wir hoffentlich in Kontakt bleiben werden. Das Klima war wieder mal erbarmungslos. Nicht nur war es extrem heiß, die Luftfeuchtigkeit betrug zudem fast 100%. Unsere Glückssträhne hielt jedoch weiter an. 2 Trail-Angel hatten nahe eines Parkplatzes ein riesen Angebot an Essen aufgetischt. Dort entschieden Gelati und ich uns, heute und morgen ein paar extra Meilen einzulegen, um mehr Zeit in Harpers Ferry verbringen zu können. Total abgekämpft kamen wir erst kurz nach 7 Uhr am Shelter an. Weil alle anderen in ihren Zelten oder Hängematten schliefen, baute ich mein Moskitonetz im Shelter auf, um mir die Mücken vom Hals zu halten.

Auf dem Tagesprogramm stand der nach Spaß klingende 21 km lange Abschnitt namens The Rollercoaster (zu dt. Die Achterbahn). In der Realität war es ein wahrer Höllentrip. Die 30°C im Schatten gepaart mit der hohen Luftfeuchtigkeit machten jedem zu schaffen. Während der 2 stündigen Mittagspause wollte ich eigentlich auf Gelati warten, um ihm von dem Blackburn AT Center zu erzählen, wo man gegen eine Spende übernachten kann. Denn das Hostel klang wesentlich besser, als das Shelter, welches wir uns ausgesucht hatten. Zu dumm, dass Gelati nicht auftauchte und ihn auch kein anderer Wanderer sah. Ich fragte mich schon, ob was passiert ist. Bei den vielen Steinen kann man sich schnell irgendetwas brechen. Besonders wenn es so heiß ist und man sich nicht mehr richtig konzentrieren kann. Das einzige was mich davon abhielt, zurückzugehen, war die Tatsache, dass so viele andere Wanderer unterwegs waren, die ihn sicherlich schon längst vor mir gefunden hätten. Am Hostel angekommen, hörte ich von jemandem, dass er Gelati gesehen hat und er zum verabredeten Shelter unterwegs war. Deswegen wollte ich nur schnell Essen machen und dann weiterziehen. Das Ehepaar, welches das Hostel leitete, durchkreuzte diesen Plan mit der Einladung zum gemeinsamen Abendessen. Ich hinterließ Gelati eine Nachricht auf seinem Handy, dass ich morgen früh gegen 7 Uhr am Shelter sein würde und ich die Nacht hier bleibe. Der übergroße Topf mit Pasta war randvoll gefüllt und wartete nur darauf, geleert zu werden. Ich aß 3 Teller voll und obendrein eine große Portion Salat mit selbstgebackenem Brot. Bevor ich meine Luftmatratze auf der Terrasse mit wunderschönem Ausblick ausbreitete, sprang ich noch schnell unter die angenehm kühle Dusche. Als ich mich dann schlafen legte, dachte ich nur, dass das Duschgel die Haut ziemlich aggressiv angreift, weil ich lauter Stiche auf meinem Rücken spürte. Erst beim zweiten mal sah ich dann die kleinen Käfer, die fröhlich auf mir rumkrabbelten. Zum Glück hab ich meinen Schlafsack-Liner, in den ich mich einhüllte und mir die kleinen Viecher vom Hals hielt. Alle anderen wurden die ganze Nacht gebissen oder versteckten sich in ihren Schlafsäcken und schwitzten wie Bolle. So oder so fanden die meisten kaum Schlaf.

 

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